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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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und Lutz Taufer sowie Birgit Hogefeld. Die inoffizielle Führerin der zweiten Generation, die ihre Chefrolle auch im Gefängnis behalten hatte, exkommunizierte die vier wie bei einer Säuberung in einer kommunistischen Partei. Sie hätten die »abwicklung von raf und gefangenen in gang gesetzt«, warf sie ihnen vor. Sie hätten einen »deal« einfädeln wollen und dabei »die bewaffnete aktion heute als ware definiert«. 14

    Geschehen war Folgendes: Karl-Heinz-Dellwo, einer der Attentäter von Stockholm, hatte im SPIEGEL einen Artikel gelesen, wonach in der Wirtschaftselite die Angst vor der RAF grassiere. Er dachte sich, dass Manager, noch mehr als Politiker, eine Interesse am Ende des Krieges der RAF haben müssten. Vielleicht ließen sie sich für eine »politische Lösung« gewinnen: für die Zusammenlegung und schrittweise Entlassung der Gefangenen und im Gegenzug die endgültige Einstellung der Aktionen durch die Illegalen. Dellwo bat Christian Ströbele um einen Besuch, einst Anwalt von Baader und anderen RAF-Gründern, später Bundestagsabgeordneter der Grünen. Ströbele sah nach der Deeskalationserklärung die Chance, die trostlose Geschichte der RAF endlich zu einem Ende zu bringen. Es gelang ihm, Edzard Reuter, den Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG, zu überzeugen, mit Politikern zu sprechen. Später gewann Ströbele eine zweiten einflussreichen Mann für das Projekt: Ignatz Bubis, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland.

    Ströbele machte allerdings den Fehler, so sagte er später selbstkritisch, dass er Brigitte Mohnhaupt zu spät, nämlich erst nach mehreren Monaten, bei einem Besuch bei ihr im Gefängnis von diesen Gesprächen informierte. Mohnhaupt hörte ruhig zu, sagte nicht viel, um dann zum Schlag gegen die Verräter auszuholen. Sie und die große Mehrheit der RAF-Gefangenen argwöhnten, dass die drei Celler Genossen vor allem ihre baldige Entlassung erreichen wollten.

    Neue Ideen und selbstkritisches Denken entstanden nicht hinter den Gefängnismauern, bei den lange isolierten RAF-Gefangenen, die immer wieder gegen Selbstmordgedanken ankämpften. Mohnhaupt und die Mehrheitsfraktion kamen über das bekannte »Der Kampf geht weiter« nicht hinaus. Peter-Alexis Albrecht, Professor für Kriminologie und Strafrecht, urteilt: »Die ganz überwiegende Haftzeit der RAF-Inhaftierten war von beispielloser Härte und Deprivation gekennzeichnet.«

    Die meisten Gefangenen hielten auch an der Lüge fest, Meinhof, Ensslin, Baader und Raspe seien in Stammheim von imperialistischen Agenten ermordet worden; sie forderten die Zusammenlegung aller RAF-Gefangenen oder ihre Freilassung, obwohl beides illusorisch war. Sie warteten darauf, dass neue Generationen von Illegalen sie vielleicht aus dem Gefängnis holen würden.

    Bei den Illegalen des Jahres 1993 kamen Mohnhaupt und die Mehrheit der Gefangenen nicht gut an. Die Kader im Untergrund warfen den gefangenen Genossen, die sich als »gralshüter der option des bewaffneten kampfes« gebärdeten, eine »miese taktik« vor. »wenn ihr offen und ehrlich reden würdet, hättet ihr solche schweinereien nicht nötig.«

    Die Agonie währte noch fünf Jahre, dann bereitete die RAF ihrem »Projekt« ein förmliches Ende. Im April 1998 ging im Kölner Büro der Nachrichtenagentur Reuters ein in Chemnitz, vormals Karl-Marx-Stadt, abgesandtes achtseitiges Schreiben ein. »Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte«, heiß es darin - entgegen langer Praxis wieder mit Großschreibung. Die Selbstkritik fiel milde aus. »Das Ende dieses Projektes zeigt«, hieß es lapidar, »dass wir auf diesem Weg nicht durchgekommen sind.« Anders ausgedrückt: Der bewaffnete Kampf war nur deshalb falsch, weil er keinen Erfolg hatte.

    Nach einer Aufzählung aller seit der Gründung der RAF im Jahr 1970 zu Tode gekommenen Kämpferinnen und Kämpfer adaptierten die RAF-Auflöser, ohne sie namentlich zu nennen, ein Zitat der Kommunistin Rosa Luxemburg. Die hatte im Januar 1919 in der »Roten Fahne« geschrieben, zwei Tage bevor rechte Freikorps-Soldaten sie erschlugen: »Die Revolution wird sich morgen schon ›rasselnd wieder in die Höh’ richten‹ und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: ich war, ich bin, ich werde sein!«

    Die RAF reduzierte Luxemburgs Prophezeiung auf:

    »Die Revolution sagt:

    ich war

    ich bin

    ich werde sein«

    Der Tag, an dem die Auflösungserklärung in Köln eintraf und veröffentlicht wurde, war der 20.

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