"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
angebracht ist, zur Versöhnung bereit sein.« Kinkel startete ein Aussteigerprogramm und sorgte für Haftentlassungen von RAF-Gefangenen. Gut drei Monate später entschieden sich die Illegalen, »die Eskalation zurückzunehmen«. Es werde vorerst keine »Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat« mehr geben. 12
Um einen solchen handelte es sich bei der letzten Aktion der RAF auch nicht. Vier bis heute unbekannte Vermummte überwältigten und fesselten am 27. März 1993 im hessischen Weiterstadt die Wachen eines kurz vor der Eröffnung stehenden Gefängnisses. Anschließend jagten sie die Anlage mit 200 Kilogramm Sprengstoff in die Luft. Vor der gewaltigen Detonation hatten die Terroristen drei Zubringerstraßen abgesperrt und Warnschilder angebracht: »Knastsprengung in Kürze - Lebensgefahr. Sofort wegrennen.« Menschen wurden nicht verletzt, der Sachschaden betrug 123 Millionen Mark; die Eröffnung des Gefängnisses verzögerte sich um vier Jahre. Die RAF hatte zu diesem Zeitpunkt fast 23 lange Jahre gebombt und geschossen. Ihre Kader hatten 32 Menschen ermordet, 19 waren auf ihrer Seite gewaltsam zu Tode gekommen.
Die letzten Toten der RAF gibt es im Juni 1993. Zum ersten Mal seit den Anfängen der Gruppe, als der V-Mann Peter Urbach Brandsätze lieferte, ist es dem Verfassungsschutz wieder gelungen, einen Agenten an Illegale der RAF heranzubringen. Der Student Klaus Steinmetz aus Kaiserslautern hat das rheinland-pfälzische Landesamt für Verfassungsschutz seit 1984 mit Informationen aus der Autonomenszene beliefert. Im Februar 1992 lädt ihn ein Bekannter nach Paris ein, wo er mehrere Tage mit einer Frau verbringt, die er der RAF zuordnet. Sollte es Birgit Hogefeld sein, die acht Jahre zuvor in den Untergrund gegangen war? Steinmetz trifft die RAF-Frau im Abstand von mehreren Monaten wieder, einmal in Boppard am Rhein, einmal in Cochem an der Mosel. Sie will genau wissen, wie die RAF und ihre Aktionen in der linksradikalen Szene gesehen werden. Für das vierte Treffen, Ende Juni 1993 in Mecklenburg, haben die Verfassungsschützer zwei Monate Zeit, sich vorzubereiten. Sie informieren den Generalbundesanwalt, und der entscheidet, die mutmaßliche RAF-Frau solle verhaftet werden. Vier Mal trifft sich die »Koordinierungsgruppe Terrorismus« und bespricht den Großeinsatz, dem sie den Decknamen »Weinlese« gibt.
Steinmetz und die RAF-Frau verbringen drei Tage im mecklenburgischen Wismar. Die Verfassungsschützer hören über eine Wanze mit, dass die Frau auf dem Rückweg einen Freund treffen wird. Als das Trio in Bad Kleinen durch die Bahnhofsunterführung schlendert, stürmen sieben GSG-9-Männer schreiend auf sie zu. Einer hält der Frau seine Pistole an den Kopf und wirft sie auf den Boden; ein anderer überwältigt den V-Mann Steinmetz. Der Freund stürmt die Treppe hinauf. Auf dem Bahnsteig schießt er auf seine Verfolger und trifft den GSG-9-Beamten Michael Newrzella vier Mal. Dessen Kollegen geben 33 Schüsse auf den Flüchtenden ab, der auf das Gleis stürzt. Es ist Wolfgang Grams. Er stirbt wenige Stunden später im Krankenhaus. Kurz nach ihm erliegt auch der GSG-9-Mann seinen Schussverletzungen. Die festgenommene Frau ist, wie die Fahnder vermutet haben, Birgit Hogefeld.
Die Ermittler stellen fest, dass Hogefeld und Grams offenbar ein ganz anderes Verhältnis zu ihren Eltern haben als die Gründer der RAF, deren politischer Kampf auch ein Generationskonflikt war. Hogefeld und Grams schickten aus dem Untergrund Briefe und besprochene Tonbandkassetten an ihre Eltern. Marianne Hogefeld traf sogar ihre Tochter und Grams und schrieb anschließend: »Hallo Du, Ihr alle. Es war so schön und Ihr habt alles so lieb gemacht und ich glaube wir haben viel gelernt, auch das Umgehen mit so vielem.« 13
Die RAF war nach der Neutralisierung ihres Führungspaares nur mehr sehr bedingt operationsfähig. Zudem gerieten die Illegalen, ohne dass sie es beabsichtigten, in einen schweren Konflikt mit der Mehrheit der RAF-Gefangenen. Öffentlich wurde die Spaltung im Oktober 1993, als Brigitte Mohnhaupt eine Erklärung abgab, die mit den Worten begann: »wir machen jetzt eine sache offen, die für uns der bruch ist im zusammenhang der gefangenen und in der politischen beziehung zur raf. der inhalt der beziehung ist zerstört, eine andere entscheidung als trennung ist nicht möglich.«
Mohnhaupt sprach für alle RAF-Gefangenen außer den in Celle einsitzenden Karl-Heinz Dellwo, Knut Folkerts
Weitere Kostenlose Bücher