Naturgeschichte(n)
Die Änderungen kommen nicht millimeterweise zustande. Sie fallen viel stärker aus. Manche stören das spätere Leben. Ihre Träger verschwinden. Andere bleiben zunächst unauffällig, sammeln sich an und erzeugen dann ziemlich plötzlich ein neues Äußeres. Dafür hat die Tierzucht jede Menge lebender Beispiele geliefert. Wieder andere bringen sogleich Vorteile, sodass sich ihre Träger besser als andere fortpflanzen. Die neuen Eigenschaften breiten sich aus.
Schon seit den 1930 er Jahren weiß man, dass das Neue in der Evolution ziemlich schnell auftaucht, sich ausbreitet, verfeinert und in lange Phasen sehr langsamer Weiterentwicklung übergeht. Der Artentod kommt gleichfalls meist schnell. Die Fossilien, die versteinerten Zeugnisse zum Gang des Lebens über die Jahrmillionen, enthalten dazu sehr wohl die Bindeglieder, die von den Evolutionsgegnern gern als » Fehlstücke« (missing links) hervorgehoben werden. Die Belegstücke für den Gang der Entwicklung sind vorhanden. Dass sie nicht absolut vollständig sein können, ist selbstverständlich. Wer könnte denn die Gräber der eigenen Vorfahren der letzten 250 Jahre lückenlos vorführen?
Wer die biblische Schöpfungsgeschichte wörtlich nimmt und sich auf Adam und Eva beruft, darf für sich auch keine Ausnahme machen, wenn es um den Nachweis der Herkunft geht.
Die » missing links« sind Denkfehler, keine Fehlstücke der Natur. Immer wieder werden neue Funde gemacht, die die Übergänge beweisen. Die knapp 150 Millionen Jahre alten, bei Solnhofen in Bayern gefundenen Urvögel Archaeopteryx aus der Jurazeit sind keine Ausnahme, sondern besonders eindrucksvolle und aussagekräftige Fossilien. Aus China stammen weit mehr Funde zur Evolution der Vögel. Sie beweisen, dass nicht allein die Vögel Federn entwickelten, sondern auch die mit ihnen verwandten Dinosaurier.
Und noch eine abschließende Bemerkung zu den Gegnern der Evolution: Wer den gegenwärtigen Zustand der Erde und des Lebens als direkte göttliche Schöpfung ansieht, muss diesem auch all die Fehler und Mängel zuschreiben, die darin enthalten sind. Die Unzuverlässigkeit der Erde selbst ebenfalls, die immer wieder mit Vulkanausbrüchen und Erdbeben, mit Tsunamis und Stürmen vernichtet, was sie hervorgebracht hat. Sollten das Strafen für die Menschen sein, so treffen diese weit mehr unschuldige Lebewesen. Sind eine Schöpfung, die von Anfang an schon alle Möglichkeiten zur Entwicklung enthielt, und ihr Schöpfer, der die Freiheit dazu gab, nicht die unvergleichlich großartigere Vorstellung? Schöpfungsgläubige haben die Wahl zwischen einem ganz großen und einem recht kleinen Schöpfer.
Der Andersgrüne
Ein Nachwort von Michael Miersch
Mit diesem Mann wird jeder Spaziergang zur Expedition. Erstens entdeckt Josef H. Reichholf überall Tiere, und zweitens kann er es nicht lassen, sie zu fangen. Nicht nur Spinnen oder Ringelnattern hält er nach blitzschnellem Zugreifen plötzlich in der Hand. Es kann vorkommen, dass er einen Schwan packt, den empört fauchenden Vogel so geschickt festhält, dass der sich nicht wehren kann, und seinem Begleiter in aller Ruhe erklärt, warum Höckerschwäne einen Höcker am Schnabel tragen. Womit wir bei einer weiteren typischen Eigenschaft Reichholfs wären: Wenn man sich von ihm verabschiedet, hat man immer etwas gelernt.
Weshalb wächst überall Löwenzahn? Warum haben Vögel Federn? Reichholf hat für alles eine natürliche Erklärung, kann evolutionäre Prozesse und ökologische Wechselwirkungen so anschaulich erklären wie kein Zweiter im deutschen Sprachraum. Ein großer Popularisierer zu sein, ist jedoch nicht sein einziges Talent. Immer steckt ein origineller Denkansatz hinter seinen Fragen, die wie im Krimi die Auflösung vorantreiben. Den Vögeln wuchsen keine Federn, weil eine Göttin der Evolution das Fliegen voraussah.
Federn waren zunächst Deponien für körpereigenen Sondermüll, durch die Reptilien überschüssige Eiweißstoffe loswurden. Zwei seiner Bücher tragen den Untertitel » Ökologische Überraschungen«. Der würde aber auch zu allen anderen seiner vielen Bücher passen, die inzwischen mehrere Regale füllen. Reichholf hat stets eine ökologische Überraschung in petto.
Seine Fähigkeit, Biologie verständlich zu vermitteln, machte ihn zu einem der bekanntesten Naturforscher Deutschlands. Mit dem Sigmund-Freud-Preis ehrte die Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung seine Qualität als Literat. Der Verband Deutscher Biologen
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