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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H Reichholf
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eines ganz normalen Baumes. Wälder erscheinen uns daher dauerhaft ( » stabil«), ein Hundeleben hingegen sehr vergänglich. Die empfindbare Zeit reicht für uns nur zurück bis zu den Urgroßeltern. Die » Ur-Urs« noch zu erleben, ist eine seltene Ausnahme. Ein Jahrhundert kommt dabei heraus; gelebt wird von den Menschen aber immer in der Gegenwart. Vielleicht haben viele deshalb so große Zukunftsängste, weil sie meinen, sich nicht mehr zurechtzufinden, wenn sich die Lebensumstände ändern. So wie es hier und jetzt ist, so ist es gut, signalisiert uns der Körper, wenn wir einigermaßen gesund und wohlsituiert sind. Unsere unausweichliche Sterblichkeit pflegen wir zu verdrängen. Dieses Leben in der Gegenwart nährt die Vorstellung, dass – Geschichte hin oder her – auch alles im Grundsatz so seine Richtigkeit hat. Wohlgeordnet und funktionierend, wie die Natur anscheinend ist, versteht es sich von selbst, dass sie durch einen Schöpfungsakt entstand.
    Sollte sie sich verändert haben, entstehen vier Probleme: Wie sah sie am Anfang aus und wer oder was gab den Anstoß? Hat die Veränderung ein Ziel? Ist der erreichte Zustand der bessere oder stellt er vielleicht sogar eine Verschlechterung dar? Gemäß der Vertreibung aus dem Paradies hat sich die Lage für die Menschen verschlechtert. Aber solche Urteile sind Ansichtssache.
    Sollte unsere Zeit das Ziel der Vergangenheit gewesen sein, müssten wir Atombomben und Unterdrückung ganzer Völker, die Milliarde hungernder und unterernährter Menschen, die Konflikte der Religionen und politischen Systeme und anderes mehr irgendwie auch zusammen mit umstrittenen und echten Fortschritten wie Weltraumforschung und moderne Gerätemedizin, Computer und Internet, Menschenrechten und Freiheit der Menschen als Ergebnis dieser Zielgerichtetheit akzeptieren. Und den, der den Anstoß dazu gab, dafür verantwortlich machen.
    Die Evolutionsbiologie sieht das in bester Übereinstimmung mit der Kosmologie ganz anders. Die Gesetzmäßigkeiten (Naturgesetze), die den Entwicklungen zugrunde liegen, lassen Freiheiten und Spielräume zu. Die Zukunft ist offen. Nicht der Mensch war und ist Ziel der Evolution, sondern der Mensch ist eine von vielen Möglichkeiten. So wie bis vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier eine Möglichkeit gewesen sind. Und vor ihnen andere, die ausstarben. Lücken hinterließen sie nicht.
    Das Problem verursacht unser Verständnis von Zeit: Jahrmillionen liegen einfach weit außerhalb davon. Sie sind bestenfalls rechnerisch nachzuvollziehen und zum Beispiel auf einer langen Linie oder Spirale darzustellen, an deren Ende unsere Gegenwart zum Strich oder Punkt wird. Darwin kannte zwar nicht die Zeiträume der Evolution und wurde oft für einen Phantasten gehalten, aber er lag ganz richtig. Die großen Veränderungen brauchen viel mehr Zeit als die kleinen. Zudem verläuft nicht alles immer gleich schnell: Es gab Phasen mit gewaltigen Veränderungen und katastrophalen Ereignissen. Dann verlief die Evolution auch viel schneller. Und es gab andere, ruhigere Phasen, in der der » Herzschlag der Evolution« gemächlich vor sich hin tickte.
    Der letzte große Umbruch ist erst rund 15 000 Jahre her. Damals ging die Eiszeit zu Ende. Der Eispanzer, der die ganze Nordsee und große Teile Nordwesteuropas überdeckt hatte, schrumpfte schnell und schmolz dahin wie auch die Gletscher, die fast die gesamten Westalpen und ihr Vorland bedeckt hatten. Die Eiszeit ging in eine Warmzeit über, die viel wärmer war, als es unsere Gegenwart ist. Mit gewaltigen Folgen für die lebendige Natur; auch für die Menschen.
    In Umbruchzeiten und in Gebieten, in denen nach Katastrophen neue Anfänge möglich werden, verändern sich die Lebewesen viel rascher als in ruhigen Zeiten. Die Vorstellung, dass sich ganz unmerklich und gleichmäßig Veränderungen aufbauen und weiterentwickeln, an deren Ende dann nach einem äffischen Beginn der Mensch steht, trifft so nicht zu.
    Inzwischen kennen wir das Erbgut besser. Darin gibt es (viele) Gene, die ganz direkt bestimmte Eigenschaften verursachen, wie die Haarfarbe oder die Fähigkeit, erwachsen noch Milch und Milchprodukte verdauen zu können. Andere steuern Entwicklungsprozesse. Von ihrem Wirken hängt es ab, ob sich der betreffende Organismus ungestört und vollständig entwickelt.
    Änderungen in diesen Regulator-Genen verursachen große Veränderungen. Denn sie wirken sich auf die Körperproportionen oder andere Verhältnisse im Körper aus.

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