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Nauraka - Volk der Tiefe

Nauraka - Volk der Tiefe

Titel: Nauraka - Volk der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Zietsch
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zielstrebiger als hinunter. Als er nach dem Graudämmer in die Finsternis hineinglitt, konnte Eri sich nur noch auf seinen Tastsinn verlassen. Das Vulkangestein war ihm jetzt ein Trost, auch wenn seine Hände inzwischen von den scharfen Kanten zerschnitten waren. Aber es verhalf ihm zur Orientierung und wies ihm den richtigen Weg. Er musste sich nicht mit Suchen aufhalten: Es ging immer nur nach oben, diese Richtung konnte er nicht verfehlen. Und ganz gewiss würde er hier nicht noch einmal verharren.
    Dennoch wurde es eine harte Prüfung. Eri hatte ein weites Stück des Falls in Bewusstlosigkeit verbracht, doch nun war er hellwach. Als er die Zone zwischen der finsteren Stille und der oberen Schicht durchquerte, lastete wieder ein ungeheurer Druck auf ihm. Dies war eindeutig die Barriere zwischen der vertrauten Welt und der anderen tief unten, die vermutlich von beiden Seiten so gut wie nie überquert wurde. Er spürte, dass ihm etwas aus den Ohren und der Nase lief, wahrscheinlich Blut. Der Kopfschmerz wandelte sich zu weißglühender Pein, und er hatte das Gefühl, als würde sein Innerstes nach außen gestülpt. Er konnte seine Qual nicht einmal hinausschreien. Wie hatte er das vorher nur ertragen können? Überleben ?
    Mehrmals war Eri nahe daran, das Bewusstsein zu verlieren. Doch das durfte keinesfalls geschehen, dann würde er den Halt verlieren und wieder nach unten sinken, irgendwohin, auf immer verloren. Ein zweites Mal aufzusteigen, würde er weder Kraft noch Mut aufbringen.
    Ich werde es nicht schaffen , dachte Eri panisch. Seine Beine gehorchten ihm fast nicht mehr, und er musste sich mühsam an den Felsen entlang nach oben ziehen. Keine Leichtigkeit und Schwerelosigkeit war mehr um ihn, er konnte kaum noch atmen, obwohl seine Kiemen weit gebläht waren und flatterten.
    Totale Finsternis, Stille, und der furchtbare Schmerz des Drucks.
    Nicht mehr lange, und er würde aufgeben müssen.
    Doch tief in ihm regte sich Widerstand, der Wille zum Überleben.
    Ich habe es einmal überlebt, und da war ich sogar noch von dem Aufprall auf die Felsen geschwächt. Also kann ich es auch auf dem Rückweg schaffen, im Vollbesitz meiner Kräfte. Es ist doch nicht schwer, nach oben zu schwimmen, schon als Winzling habe ich das gekonnt. Und ich kann mich auch noch festhalten, nach oben ziehen.
    Es war, als hätte er sich zweigeteilt: Die eine Hälfte sprach sich Mut zu, während die andere Hälfte nur noch Todesangst empfand. Trotzdem trieb es ihn vorwärts, genau wie zuvor gegen den Urantereo.
    Weiter, immer weiter.
    Setze Hand vor Hand, lass dich nicht irritieren. Dein Körper hat immer noch Kraft, er bringt dich nach oben. Du hast den Halt, du kennst den Weg. Du weißt, die Finsternis währt nicht ewig, du hast sie schon durchkreuzt. Beweg dich schneller, und sie ist schneller zu Ende.
    Die Perle. Vergiss nicht die Perle. Sie ist dein kostbarer Gewinn für das, was du auf dich genommen hast. Du hast die Stille Tiefe gefunden, du hast das Tabu gebrochen und mehr gesehen als alle anderen. Du weißt, was dort unten ist. Und die Perle … ist dein. Sie hat dort auf dich gewartet, sich dir gezeigt. Kein Einziger hat jemals eine große schwarze Perle besessen. Sie ist dein. Bring sie nach Hause und beginne ein Leben in Freiheit. Sie ist dein.
    Er gab sich dem Flüstern in seinem Inneren hin und glitt einfach weiter nach oben.
    Und dann, endlich, war es vorbei.

3.
Der Antrag

    Als Eri schließlich wieder den vertrauten Geschmack der Heimat auf der Zunge und in den Kiemen spürte, als seine Haut den ganz bestimmten Salzgehalt erkannte, der nirgends derselbe war, als er das feine Kribbeln vieler anderer Fische, Nauraka und sonstiger Wesen wahrnahm und sein Gehör sich füllte mit den vielen heimischen Lauten und Stimmen, als er wusste, dass er zu Hause war, erlaubte er sich, für einen Moment innezuhalten und sich der tiefen Erschöpfung hinzugeben.
    Mit geschlossenen Augen lehnte er am Vater-Vulkan, spürte den bohrenden Hunger in seinen Eingeweiden, fühlte das Zittern der überlasteten Muskeln, und hielt das Gewicht der verborgenen Perle in Händen, der Lohn seiner Strapazen. Der Schmerz in seinem Schädel ebbte nur langsam ab, ein dumpfes Rauschen blieb zurück.
    In diesem Moment nahm er sich vor, mit dem Aufbruch in ein neues Leben, an ferne Gestade, doch noch ein wenig zu warten. Von spontanen oder unfreiwilligen Abenteuerreisen in fremde Welten hatte er erst einmal genug. Eines hatte er gelernt: Auf die große Reise ohne

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