Nauraka - Volk der Tiefe
Sicht hier unten täuschte – der Vulkan war sehr viel weiter weg als er angenommen hatte. Er würde wohl eine Weile brauchen, bis er dort ankam. Doch er war ein nicht zu übersehendes Ziel, auf das der Prinz zielstrebig zuhielt.
Plötzlich fiel der Grund unter ihm erneut ab und gab den Blick frei auf ein tiefes Tal, eine weite Ebene vor dem Vulkan, und dort lag …
Ein Skelett. Keine Gräten, sondern Knochen , wie sie auch die Nauraka besaßen.
Wie das Wesen einst ausgesehen haben mochte, war nicht mehr erkennbar, denn die gigantischen Knochen lagen durcheinander, teils aufeinandergehäuft, und der Schädel fehlte. Der kleinste Knochen, den Eri entdeckte, war so lang und schmal wie er selbst.
Mit einem mulmigen Gefühl schwamm er über die Überreste hinweg. Wie lange mochten sie wohl schon hier unten verrotten? Dieses Wesen musste noch größer gewesen sein als der Gigant, der in der Dunkelheit an ihm vorübergezogen war.
Eri schwamm schneller, da ihm unheimlich zumute war. Diese Knochen strahlten etwas aus, das ihn beunruhigte, seiner Haut eisige Schauer bescherte, obwohl es hier unten angenehm warm war. Das Wasser veränderte sich, schmeckte seltsam, als würden die Knochen etwas absondern – hoffentlich kein Gift …
Irgendetwas stimmte jedenfalls nicht, denn es gab keine Fische oder Blumentiere, überhaupt nichts außer dem unverwüstlichen Algenteppich, der hier allerdings eine einheitliche graue Farbe aufwies. Und die Zahl der Vulkanschlote nahm stetig zu.
Der Prinz schüttelte den Kopf, als es plötzlich darin zu summen anfing. Als flüsterten Stimmen, die ihm etwas mitteilen wollten. Er wollte es nicht hören, bemühte sich das Summen zu ignorieren.
Der Vulkan. Ich muss dorthin, und dann an ihm entlang nach oben , dachte er intensiv.
Er paddelte schneller, versuchte, sich von den Knochen nicht zu sehr ablenken zu lassen, und atmete flacher. Bisher schien er die veränderte Zusammensetzung des Wassers gut zu vertragen, doch das konnte sich schnell ändern. Es ist tot , rief er sich zur Ordnung, weil es ihn mittlerweile fürchterlich gruselte. Ein Skelett kann dir nichts tun. Und was die Stimmen betrifft, du bist nur völlig erschöpft, dein Verstand nicht mehr ganz bei sich. Kein Wunder, nach diesem Erlebnis.
Na, da würde er Onkel Turéor aber etwas zu erzählen haben!
Aber zuerst musste er wieder nach oben. Und dann …
Wie es geschah, wusste Eri nicht. Sein Blick fiel irgendwie darauf, ob zufällig oder nicht, er konnte es nicht sagen. Er hatte die Felswand des Vulkans fast erreicht. Nur noch wenige Knochen lagen hier, dafür gab es unzählige Schlote und Schlünde, die schwarzen Qualm und Funken ausstießen. Aus manchen floss dünnes Magma; das alles kannte Eri auch aus seiner Heimat und war ihm vertraut. Der Algenteppich zog sich zurück, und goldfarbener sandiger Boden breitete sich aus, der teilweise von schwarzer Schlacke überkrustet war.
Und da hatte er es auf einmal gesehen. Zwischen zwei Kaminsäulen hatte etwas aufgeblitzt. Eri hatte es nur flüchtig erblickt, doch es erregte sofort seine Aufmerksamkeit. Das war etwas von Bedeutung, kein Zufall. Kein Gefühl, sondern Gewissheit. Alle Gedanken an Daheim waren vergessen.
Er neigte sich leicht zur Seite und tauchte auf die Stelle zu. Doch als er dort ankam, sah er gar nichts. Nur Sand und die beiden Kamine. Konnte er sich so getäuscht haben? War es ein Trugbild seines übermüdeten Verstandes, genau wie die Stimmen? Er musste sich vergewissern. Hektisch begann Eri, im Sand zu wühlen, stöberte überall herum. Der Druck in seinem Kopf nahm zu, und Eri vernahm erneut die Stimmen, die zunehmend lauter wurden. Was wollten sie von ihm? Sie summten, zischten und wisperten, doch er konnte sie nicht verstehen.
»Hört auf«, knurrte er. »Lasst mich in Ruhe!«
Er wurde immer verwirrter, konnte aber dennoch nicht aufhören. Was tat er da überhaupt? Er hatte schon Händler gierig in Kisten voller Geschmeide wühlen sehen, nicht mehr Herr ihrer Sinne. Sie konnten kaum glauben, dass die Nauraka, ein Wasservolk, in der Lage sein sollten, kostbaren Schmuck zu fertigen, der bei den Landvölkern sehr begehrt war. Und nun benahm Eri sich genau wie sie. Er war wie verrückt auf der Suche nach etwas Unbekanntem, das er vorhin entdeckt zu haben glaubte. Und die Stimmen schienen ihn auch noch anzufeuern.
Natürlich hatte er als Kind mit den anderen Schatzsuche gespielt, aber Geld und Geschmeide hatten ihn im Gegensatz zu seinem Bruder nie
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