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Nauraka - Volk der Tiefe

Nauraka - Volk der Tiefe

Titel: Nauraka - Volk der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Zietsch
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gewöhnlichen Volk versperrt waren, daher begegnete ihnen hier niemand. So manch einer war wohl auch auf diesem Wege schon für immer verschwunden. Es gab Gerüchte im Volk, wonach Ragdur sich den Thron erobert hatte, indem er alle Konkurrenten aus dem Weg räumte. Aber natürlich wagte niemand ein Wort darüber verlauten zu lassen, seit er Hochfürst geworden war. Letztendlich spielte es auch keine Rolle, denn er war ein strenger, aber guter Herrscher, der für sein Volk sorgte.
    Der Thronsaal war in die Vulkanfelsen gemeißelt worden, der Thron selbst aus einem Stück gefertigt, dessen Sockel fest mit dem geglätteten schwarzen Boden verbunden war. An den Felswänden reihten sich Lampengarnelen, deren mit leuchtenden Kugeln besetzte Fühler einen sanften Glanz verbreiteten. Unermüdlich reinigten sie die glitzergoldenen Wände. Handtellergroße Schimmerdienerchen schwebten durch den Saal, trugen Essen und bauchige Trinkgefäße mit dünnen langen Hälsen. Anmutige Hornnadeln, naurakagroß, schlank und wie eine Welle gebogen, mit prachtvoll farbigen Rückenkämmen und langen Röhrenschnauzen, hielten auf schlanken, mit langen Schleiern besetzten Flossenhänden große Schalen, in denen Leckereien aller Art lagen. Winzige Fliegenfische im Tangkäfig in mundgerechter Größe, die lebend und im Ganzen verspeist wurden, in Vulkanglut geröstete Urantereo-Stücke, roh filetierte Seegurke, in Schneckenkruste gebackener Seeigel, und vieles mehr.
    Eri lief das Wasser im Mund zusammen, als er all die Köstlichkeiten sah. Seine Eltern hatten sich bereits vor den Schalen in den Sitznetzen, die von Gaskugeln in der Schwebe gehalten wurden, niedergelassen. An ihrer rechten Seite saß blass und sehr aufrecht Onkel Turéor; Eri freute sich, ihn zu sehen. Es war selten genug, dass Hochfürst Ragdur seine Anwesenheit  zum Mahl duldete. Links von seiner Mutter rekelte sich Lurion und saugte genüsslich an einem Trinkgefäß. Er würdigte seinen Bruder keines Blickes. Luri hingegen, die neben Onkel Turéor saß, wirkte sehr aufgeregt. Ihre Augen leuchteten wie Juwelen, und ihre samtolivfarbene Haut glühte förmlich. Eri war verwundert; was konnte seine Schwester derart außer Fassung bringen? So kannte er sie in Anwesenheit der Eltern gar nicht, wo sie sich ansonsten sehr kühl und distanziert gab. Dieses Mahl musste also einen besonderen Anlass haben und hatte wohl mit seiner Rückkehr nichts zu tun.
    »Ich grüße Euch, Vater, Mutter«, sagte er in angemessener Tonlage und tanzte die Figur der Ehrerbietung. Lurion bemerkte dies und warf ihm einen hasserfüllten Blick zu.
    »Hast du dich also doch entschlossen, zu uns zurückzukehren, Erenwin«, bemerkte Hochfürst Ragdur. Er war ein großer, schwerer Mann mit breiten Schultern und Muskeln, die unter dem fürstlichen Gewand deutlich hervortraten.
    Hochfürstin Ymde äußerte sich nicht, das tat sie selten. Mit traumumflorten Augen betrachtete sie ihren Sohn; sie war nie ganz von dieser Welt. Die meiste Zeit bewegte ihr Geist sich auf magischen Wegen, um, wie sie sagte, die Gesänge des Meeres zu erforschen. Der Frieden im Reich der Darystis beruhte vor allem auf ihrem Schutz, den sie unermüdlich webte. Sie lebte zurückgezogen in ihren Gemächern, zumeist umgeben von Schamaninnen. Ab und zu braute sie Heiltränke, die sie den Landhändlern im Tausch gegen Kräuter und Tränke aus deren Welt gab. Ymde interessierte sich nicht für weltliche Dinge, sie überließ das Regieren ganz ihrem Gemahl. Manchmal erinnerte sie sich an ihre Kinder und kümmerte sich einen ganzen Dämmerungszyklus um sie, war liebevoll und erzählte ihnen Geschichten. Doch solche Begebenheiten hatten in frühen Kindertagen selten stattgefunden und kamen nun fast überhaupt nicht mehr vor. Eri war es inzwischen egal, da er ohnehin fast erwachsen war, und Luri hatte sowieso noch nie darunter gelitten. Sie war bodenständig und nüchtern wie ihr Vater. Als Ausgleich allerdings verlangte es sie seit einiger Zeit nach »Romantik«, etwas, das ihre Freundinnen mit ihr teilten und Eri schon in die eine oder andere prekäre (und doch auch prickelnde) Lage gebracht hatte.
    »Es tut mir leid, wenn ich Euch erzürnt habe, Gebieter«, sagte Eri demütig und nahm seinen Platz an der Schale ein, die am weitesten von allen anderen entfernt stand. »Es lag nicht in meiner Absicht, Eure Gebote zu missachten.«
    »So ist es doch jedes Mal, nicht wahr?«, rügte ihn sein Vater. »Du machst nichts als Ärger, aber du hast mehr

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