Nauraka - Volk der Tiefe
Ich sage es kein weiteres Mal.«
Der Mann starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an, in denen Zweifel lag, Unglauben, Verständnislosigkeit. Doch dann drehte er tatsächlich um, und die anderen folgten ihm. Bald waren sie im Fahldämmer verschwunden.
Der Wächter wandte sich Eri zu: »Dafür werdet Ihr Eurem Vater Rede und Antwort stehen müssen, Prinz.«
»Das werde ich, und zwar jetzt gleich«, stimmte Eri zu. Er war viel zu aufgebracht, um sich vor dieser Begegnung zu fürchten. Und er hatte seinem Vater eine Menge zu sagen.
Im Geleitschutz der Wachen kehrte Eri zum Markt zurück und wurde augenblicklich zu seinem Vater zitiert. Die Botenwege waren sehr kurz in diesen Gefilden, sodass es kein Wunder war, dass Ragdur bereits über alles in Kenntnis gesetzt war. Der Hochfürst hatte sich in einer großen Kaverne niedergelassen, zusammen mit seiner Gemahlin, bedeutenden Händlern und Edelleuten der anderen Völker. Spielleute trugen zur Unterhaltung bei, die Schalen waren voll gefüllt, und Dienerschaft schwirrte eifrig zur Bedienung umher. Große Flimmerquallen, die elegant auf und ab schwebten, leuchteten die Kaverne in allen Farben aus. Als er seinen Sohn erblickte, verließ Ragdur die fröhliche Tafel und zog sich mit ihm in eine Nebenhöhle zurück. Eri war überrascht, dass sein Vater unter vier Augen mit ihm sprechen wollte. War dies nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Ein schlechtes, zweifelsohne – etwas Gutes war ihm nach einem überstandenen Abenteuer noch nie widerfahren.
Und er hatte richtig vermutet. »Was hast du nun wieder getan, törichter Knabe?«, ließ Ragdur ohne Einleitung seinem Zorn freien Lauf.
Eri blieb ruhig, und er hatte immer noch keine Angst. Dafür war ihm diese Sache zu wichtig. »Ich habe einem Kind zu seinem Recht verholfen, Vater. Und dann habe ich die Ausgestoßenen gesehen.«
»Es ist eine Schande, was …«, setzte der Hochfürst an. Seine langen schwarzen Haare wehten wie Krakenpeitschen, und seine Augen sprühten wie der Vater-Vulkan, wenn er Lava spuckte. Trotzdem kam er nicht dazu, weiterzusprechen.
»Eine Schande ist es, wie diese Leute leben müssen!« Eris Körper durchfuhr ein heftiges, kurzes Zittern, und er spürte, wie sich etwas aus seinem Inneren den Weg in die Freiheit bahnte, begleitet von dem unheimlichen Flüstern, das ihn anzuspornen schien. »Wie könnt Ihr nur zulassen, Herr, dass die edlen Nauraka ein derart elendes Leben führen müssen, in Gefangenschaft, ohne Aussicht auf Erlösung! Sogar die unschuldigen Kinder, die für ihre Väter büßen müssen! Das ist weder Gerechtigkeit noch Gnade, sondern Grausamkeit!«
Ragdur verschlug es die Sprache. Er starrte seinen Sohn an, als wäre er zu einem schrecklichen Monster geworden.
Und vielleicht war er das auch. Irgendetwas war mit Eri passiert, dort unten in der Stillen Tiefe, hatte ihn verändert und ließ ihn nun so vorpreschen wie einen ungezähmten Seeschwärmer. Der junge Prinz fühlte keine Furcht, sondern redete sich erst recht in Rage. Es war Gerechtigkeit, um die er kämpfte, und Würde. »Ihr seid ein großer und edler Mann, Vater, und weithin berühmt und hochgeachtet für Eure Weisheit. Ihr sprecht keine Todesurteile aus, und Euer Volk lebt in Reichtum und Müßiggang, es kennt keine Not. Doch … das ist nur hier oben im Mittlicht so. Wenn wir tiefer tauchen, finden wir diejenigen, die tabu geworden sind. Wir haben sie vergessen und wissen nichts von ihnen, als wären sie unsichtbar. Aber sie sind da . Sie dürfen unsere Gründe nicht verlassen, wahrscheinlich, damit niemand erfährt, wie elend sie leben müssen.« Eri wies um sich. »Wie herrlich ist es hier, wie sehr sind wir verwöhnt. Sie hingegen haben kaum Licht, sind mager und krank, atmen schlechtes Wasser und darben. Sie haben keine Hoffnung. Aber … sie sind Nauraka , Vater! Keinem Feind würden wir erlauben, uns so zu behandeln. Keinem Feind würden wir ein solches Martyrium antun, das Korallenbäume währt.«
»Bist du fertig?«, fragte der Hochfürst, der inzwischen seine Sprache wiedergefunden hatte. Sein Gesicht wie auch der Ausdruck seiner Augen waren nunmehr so kalt und lichtlos wie ein toter Fisch.
»Ich … ich habe die Wächter zurückgehalten und die Verbannten unversehrt in ihre Gründe zurückgeschickt, weil mir nichts geschehen ist«, setzte Eri fort. Er fröstelte, als sich die Aura des Vaters veränderte und ihn mit eisiger Kälte umhüllte. Doch er war immer noch nicht am Ende. »Ich bitte Euch,
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