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Nauraka - Volk der Tiefe

Nauraka - Volk der Tiefe

Titel: Nauraka - Volk der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Zietsch
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man ihn als gütigen Herrscher verehrt, und als gerechten noch dazu, weil die Verurteilten schnell verschwinden. Doch sag mir, junger Prinz, was ist dies hier anderes als ein langsames Dahinsiechen?« Der Mann breitete die Arme aus. »Wir haben versucht fortzuschwimmen, doch die Soldaten hindern uns daran. Die See kennt zwar kein Ende, doch genauso wenig Ragdurs Strenge. Wir sind Gefangene und Verdammte auf ewig. Angewiesen auf die Gnade des Fürsten, der uns ab und zu die Reste dessen schickt, was ihr nicht verzehrt. Zu viel zum Sterben, nicht genug zum Leben. Das sind wir.«
    Eri schwindelte es, und das lag nicht nur an dem ungesunden Wasser. Grauen erfasste ihn. »Das werde ich ändern«, wisperte er.
    »Was willst du denn tun, Zweitgeborener?«, erwiderte der Mann höhnisch. »Du hast doch überhaupt keinen Einfluss.«
    »Ich werde mit meinem Vater reden!«, schrie Eri ihn an. »Es gibt Mittel und Wege, euch zu helfen!«
    »Übernimm dich nur nicht, sonst landest du ebenfalls hier unten, während die deinen dich für tot halten. So ergeht es doch den meisten. Leute verschwinden einfach, und man sagt den Zurückgebliebenen, sie seien fortgegangen.« Die Augen des Mannes glühten in einem ungesunden Feuer. »Was du dir vornimmst, kann nicht funktionieren. Aber du hast recht, du wirst tatsächlich alles ändern. Wir werden dich gefangen nehmen und deinen Vater zur Unterredung zwingen.«
    Das hatte Eri schon befürchtet, und noch Schlimmeres. Zumindest wollten sie ihn nicht gleich umbringen. »Wie du selbst gesagt hast, bin ich nur der Zweitgeborene«, versuchte er es mit Vernunft. »Mein Vater wird euch trotzdem nicht anhören. Ich nutze euch als Geisel gar nichts.«
    »Dann haben wir eben unseren Spaß mit dir und schicken dich in Einzelteilen zu Ragdur zurück!«, rief jemand. Zustimmung wurde laut, und die Verbannten schlossen den Kreis um Eri enger.
    »Das wäre ein großer Fehler«, brachte der Prinz mühsam hervor. »Ragdur wird das als Respektlosigkeit verurteilen und eine Soldatenschaft hierherschicken, die eure Unterstadt vernichtet. Sie werden auch die Kinder töten, als Sühne für meinen Tod. Ich mag als Lebender wertlos sein, tot aber bin ich ein Mitglied des Fürstenhauses der Darystis, das zum Märtyrer wurde.«
    »So jung, und solch kluge Wortwahl«, meinte ein alter Nauraka, der auf einem Auge blind war.
    Eri wunderte sich selbst. Aber da war auch wieder das Flüstern in ihm. Vielleicht gab es ihm das alles ein, um ihn zu retten. Was auch immer es sein mochte. Es war kein Teil von ihm, und doch mit ihm verbunden.
    Andererseits … vielleicht fruchteten auch endlich die vielen Lehren, die ihm eingetrichtert worden waren. So viele Dämmerungszyklen hindurch, und so viele Wiederholungen. Auch wenn Eri kein Wunschkind war, so erhielt er doch dieselbe Ausbildung wie seine Geschwister, und wie es aussah, war sie auf fruchtbaren Boden gefallen, da er nun fast das Mannesalter erreicht hatte. Er hatte einen Urantereo getötet, war aus der Stillen Tiefe zurückgekehrt und lernte nun die Schattenseiten des wundersamen Reichs der Darystis kennen, das von den anderen Völkern so sehr bewundert wurde. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander und versuchten die Panik niederzuringen, die unbedingt die Oberhand gewinnen wollte.
    »Ich bin kein einfacher Nauraka«, sagte Eri stolz. »Ich habe gelernt, seit ich denken kann. Und was ich bisher nicht wusste, hole ich jetzt nach. Und das hier«, er deutete um sich, »wird ein Ende haben. Ich werde nicht zulassen, dass ihr weiter unter diesen elenden Bedingungen leben müsst.«
    Schweigen trat daraufhin ringsum ein. Eri kämpfte mühsam den Impuls nieder, sich nach oben freizustrampeln und zu versuchen, zu entkommen.
    »Ich sage, töten wir ihn«, bemerkte schließlich jemand.
    »Ja, töten!«, wurde eine zweite Stimme laut. »Wir haben unsere Rache, und wenn Ragdur uns dafür alle umbringen lässt, ist es noch eine Erlösung!«
    Das lief jetzt entschieden verkehrt. Eri begriff, dass sein Leben keine Fischschuppe mehr wert war. Diese Leute hier hatten nichts mehr zu verlieren, sie sehnten den Tod herbei. Nur die Rache zählte, ein wenig Befriedigung, bevor die Vergeltung des Fürsten sie treffen würde. Aber das würde Ragdur seinen Sohn nicht mehr zurückgeben, den er unter demütigenden Umständen verloren hatte. An dieser Schmach würde er noch lange tragen müssen, ohne dass er weitere Rache nehmen konnte.
    Hektisch, beschwichtigend hob Eri die Hände, dann

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