Nayidenmond (German Edition)
heran. Er hatte mit Widerstand gerechnet, den es nicht gab, darum fiel die Bewegung härter aus als beabsichtigt.
„Vergib mir, Rouven“, flüsterte er heiser. „Ich hätte dir das niemals antun dürfen. Ich wollte verhindern, dass du deine Familie verlierst.“
„Was gibt es da schon zu verlieren? Arnulf will mich loswerden, die meisten anderen starren mich an, als hätte ich mir Hörner wachsen lassen. Rouven, der Geisteskranke, der mit einem Oshanta durchbrennen wollte! Rouven, das arme kleine Ding, das geschändet wurde, ach, was ist das furchtbar! Nur Barlev spricht noch mit mir. Meistens sind es Bitten, durchzuhalten und keinen Unfug zu machen. Ach, und Tarrin, der mich kämpfen sehen will. Gut ist nur, Amanta ist im Tempel. Arnulf hatte ihr die Wahl gelassen, den Rest ihres Lebens im Dienst für den Himmel zu verbringen, oder Selbstmord zu begehen. Seitdem sind allerdings meine Schwestern schlecht auf mich zu sprechen, Amanta muss angedeutet haben, dass sie meinetwegen geht.“
„Was ist mit deinem Hund“, fragte Iyen leise. „Konntest du von ihm Abschied nehmen?“
Rouvens Augen füllten sich mit Tränen, die er wütend fortblinzelte.
„Ja, das konnte ich. Sima ist zwei Tage nach meiner Heimkehr gestorben, er hat wohl nur noch auf mich gewartet … Nachts begann er zu fiepen, ich habe ihn zu mir genommen und er ist einfach eingeschlafen. Er musste nicht leiden.“ Er biss sich auf die Lippen, als er trotzig fortfuhr: „Der einzige Grund, warum ich froh darüber bin, dass du mich abgewiesen hast.“
„Wenn du mit mir fortgegangen wärst, hätte man dich verstoßen und dir nie wieder gestattet, hierher zurückzukehren.“ Iyen schüttelte den Kopf. „Rouven, sieh mich an. Ich könnte mir die Perlen herausreißen, doch die Narben würden mich trotzdem als das zeigen, was ich nun einmal seit meiner Geburt bin. Wir müssten im Schatten leben, ständig auf der Hut vor allen Menschen. Es ist ein einsames, hartes Leben, das mir schon schwerfällt. Du aber bist daran gewöhnt, von zahlreichen Menschen umgeben zu sein, von Dienern, die alles für dich tun – wie könntest du ein solches Leben auf der Straße ertragen?“
„Ich brauche keine Diener“, fauchte Rouven. Zorn brachte das Leuchten zurück, ein wunderschöner Anblick, der Iyen beinahe zum Lächeln gebracht hätte. Er verkniff es sich hastig, um sich auf Rouvens Worte zu konzentrieren und ihn nicht zu reizen.
„Ich weiß, dass du nicht zimperlich bist“, beschwichtigte er. „Trotzdem bist du nun mal an Diener gewöhnt, das ist nicht deine Schuld. Genauso wie du an warme Betten, immer verfügbares Essen und warmes Wasser gewöhnt bist, an Truhen, aus denen du jederzeit Ersatzkleidung ziehen kannst, wenn du eine frische Hose brauchst, weil du vielleicht in Regen geraten oder im Schlamm ausgerutscht ist. Du bist an Waschfrauen und Näherinnen gewöhnt, die dir die alte Hose waschen und flicken. Gewiss, du könntest alles das für einige Wochen entbehren, ohne etwas zu vermissen, aber danach?“ Er blickte ihn sehr ernst an, streckte die Hand nach ihm aus, bewusst langsam, und berührte ihn sanft an der Wange, als Rouven sich nicht dagegen wehrte.
„Was ist, wenn die Liebe nicht ausreicht, um ein solches Leben zu führen? Ich könnte dich zwar zurücklassen, du müsstest die Verachtung und Angst der anderen Menschen nicht mehr fürchten, nur, was dann? Du hättest kein Zuhause mehr, zu dem du zurückkehren könntest. Wovon würdest du leben? Du hast kein Handwerk gelernt.“
„Iyen, hör auf.“ Rouven setzte sich hoch, das Gesicht ihm zugewandt. Er trug eine helle Stoffhose, sein Oberkörper war nackt.
„Ich weiß, du willst nur vernünftig sein. Bitte sage mir eines: Bist du vernünftig, weil es dir eine gute Ausrede bietet, dich still davonstehlen zu können? Hast du Angst davor, zu mir zu stehen, wenn es um etwas anderes als Schutz vor Mord und Entführung geht? Fürchtest du die Liebe?“, fragte er herausfordernd. „Oder ist deine Liebe so selbstlos, dass du mich vor jedem nur denkbaren Unglück beschützen willst, ohne etwas für dich selbst zu verlangen oder auch nur zu erhoffen?“
Iyen ertrank in den grünen Tiefen, in denen ein Feuerwerk von Angst, Zorn und Hoffnung brannte.
„Es gibt so einiges, was ich fürchte. Liebe gehört nicht dazu.“ Ohne nachzudenken, umfasste er ihm das Kinn und küsste ihn, nicht zärtlich wie zuvor, sondern mit all der Leidenschaft, die in seinen Adern kochte. Rouven schlang sich mit Armen
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