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Nayidenmond (German Edition)

Nayidenmond (German Edition)

Titel: Nayidenmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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schwach werden lassen. Doch das durfte er nicht. Wenn Rouven nicht vernünftig sein konnte oder wollte, musste er es für ihn übernehmen.
    „Ich bedaure, was geschehen ist, bevor wir herkamen. Ich wünschte, ich hätte meine Triebe besser kontrolliert“, sagte er hart. Rouven stand still, blickte ihn aus großen Augen an, in denen langsam das Licht erlosch. Iyen hätte schreien können, als er das mit ansehen musste. Ansehen, wie diese einzigartige Lebendigkeit erstarb, sich ein Schleier über Rouvens Antlitz legte, hinter dem er alle Empfindungen verbarg. Ohne noch ein Wort zu sagen, drehte er sich um und ging zu dem Pferd, das Barlev für ihn hielt. Der legte ihm eine Hand auf die Schulter. Rouven schüttelte ihn unwillig ab und saß auf. Sein Bruder warf Iyen einen langen Blick zu, den er nicht zu deuten wusste. Bedauern lag wohl darin, Mitgefühl und noch etwas anderes. Iyen wandte sich ab, marschierte auf den Wald zu, um nicht länger den einzigen Menschen ansehen zu müssen, der ihm auf dieser Welt etwas bedeutete.
     

Regungslos starrte Rouven ihm nach. Iyen entfernte sich ohne Hast. Mit jedem Schritt spürte Rouven die Lebenskraft aus seinem Körper rinnen, als wäre es bloßes Wasser zwischen seinen Fingern. Plötzlich fiel ihm etwas ein, etwas, das dringend gesagt werden musste, bevor es zu spät war.
    „IYEN!“, schrie er aus voller Kehle, so unvermittelt, dass alle um ihn herum erschrocken zusammenfuhren. Iyen blieb stehen, wandte sich aber nicht um.
    „Ich soll dir von Jarne sagen, dass die Schuld beglichen ist – sowohl die Blut- als auch die Ehrenschuld!“
    Nun blickte Iyen doch kurz über die Schulter und hob die Hand; dann verschwand er zwischen den Bäumen, und Rouven sackte im Sattel zusammen, kaum länger fähig sich aufrecht zu halten. Alle Spannung war aus seinem Körper gewichen. Er war allein. Iyen hatte ihn verlassen, diesmal endgültig.
    „Sag, hast du wirklich einen Oshanta getötet?“, fragte Tarrin neben ihm, mit einem Ausdruck von Hochachtung, den Rouven noch nie bei ihm gesehen hatte.
    Nein, er hat Selbstmord begangen, wollte Rouven erwidern, fand aber nicht die Kraft, auch nur einen Laut zu äußern. Außerdem hatte er Jarne verwundet und Bero ebenso. Wäre er niemals geboren worden, würde Jarne noch leben – es war also nicht völlig falsch zu sagen, dass er für seinen Tod verantwortlich war. Sein Vater hatte mit seiner Hörigkeit gegenüber seiner Königin natürlich dazu beigetragen, und der Nayidenmond durfte nicht vergessen werden, beziehungsweise Ebano, der diese unselige Prophezeiung gesprochen hatte. All jene, die das Gestammel dieses Mannes ernst genommen und durch die Jahrhunderte bewahrt hatten, kamen noch hinzu … Konnte er das Tarrin begreiflich machen? Auf gar keinen Fall. Also nickte er nur stumm, bereute es aber sofort, denn alle anderen, selbst Barlev, reagieren darauf mit aufgeregtem Murmeln und bedeutsamen Blicken.
    Gewiss – sie hatten ihn seit sechs Jahren nicht mehr kämpfen gesehen. Meister Karm hatte es strikt verboten, selbst freundliche Übungsgefechte, damit der aggressive Kampfstil Rouvens Defensive nicht ruinieren konnte. Tarrin und die anderen erinnerten sich nur an den impulsiven und kopflosen, äußerst mittelmäßigen Schwertkämpfer, der er mit zwanzig Jahren gewesen war. Dass Rouven linkshändig vier Gardisten von sich halten konnte, dass ein Oshanta behauptete, Rouven hätte ihm das Leben gerettet …
    „Trag die Nase nicht zu hoch, kleiner Bruder, dein Beschützer ist nicht mehr hier“, sagte Arnulf, während er sein Pferd an ihm vorbei trieb.
    „Urteile nicht zu hart über ihn“, flüsterte Barlev ihm beschwichtigend zu. „Vater war dagegen, dass du intensiv von Meister Karm ausgebildet werden solltest. Er sagte immer wieder, dass ein solch labiler und unberechenbarer Mann wie du nicht besser kämpfen dürfe als die Soldaten, die ihn beschützen sollen. Arnulf hat sich vehement dafür eingesetzt, dass du weitermachen durftest. Er war der Ansicht, dass ein Mann, der Tod und Folter so knapp entronnen sei, ein Recht habe, sich selbst schützen zu lernen. Arnulf fehlt leider das Verständnis für Andersartigkeit . Und er hat ja dafür gesorgt, dass du nicht nach Osor geritten bist, wenn er auch nicht wusste, welche Bedeutung das hatte.“
    Rouven nickte wieder stumm. Zu jeder anderen Zeit hätte er für dieses Zeichen brüderlicher Zuneigung von Arnulf, auf das er sein Leben lang vergeblich gehofft hatte, seinen rechten Arm

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