Nazigold
verabredet sich für den nächsten Tag, obwohl
er weiß, dass so ein Handel illegal ist. Irgendetwas wird er wohl mitbringen.
»Kommen Sie auf jeden Fall. Ich will die Sachen nicht bei mir haben,
wenn ich festgenommen werde.« Abrupt dreht sich der Mann um und verschwindet in
der Menge.
Gropper muss einigen Kippensammlern ausweichen, die tief gebückt das
Pflaster absuchen, die gefundenen Kippen begutachten und sie in ihre Tüten
stecken. Zehn Kippen können sie gegen eine Zigarette eintauschen.
Gegenüber vom Bahnhofplatz befindet sich immer noch die Post. Dort
will er nun Luise anrufen. Doch die beiden Telefonhäuschen vor dem Gebäude sind
verriegelt. Zettel kleben an den Glastüren: »Außer Betrieb« und »Out of
service« steht darauf.
»Verdammter Mist«, flucht Gropper. Er geht in den Schalterraum.
Hinten links befanden sich früher zwei weitere Telefonkabinen. Sie stehen auch
jetzt noch da, aber davor haben sich zwei elend lange Schlangen von Wartenden
gebildet. Pfeif drauf, sagt er sich, verlässt die Post und macht sich auf in
den Ort. Dabei kommt er hinter dem Postamt am Kurhaus vorbei. Über dem Eingang
mahnt ein großes Transparent: »No fraternization«. Darunter steht in großen
Buchstaben: »Veronika Dankeschön«. Auch diese Danksagung kennt Gropper aus
München, wo in Tanzlokalen ebenfalls vor der Geschlechtskrankheit Veneral Disease , kurz: V.D. ,
gewarnt und mit »Veronika Dankeschön« gegrüßt wird. Doch die GI s lassen sich davon nicht abschrecken und
fraternisieren mit den deutschen »Froileins«.
Hinter einer Grünanlage sieht er seine alte Schule. Sofort hat er
wieder den Geruch von Bohnerwachs in der Nase, mit dem damals die Fußböden der
Flure und Klassenzimmer eingerieben wurden, und denkt an die schmerzhaften
Tatzen auf die innere Handfläche. Mit dem Ranzen auf dem Rücken, darin Tafel,
Griffel, Fibel und außen an einer Schnur baumelnd der Schwamm, ging er oft mit
Angst vor den Lehrern in diesen ungeliebten Bau. Nur vor einem Lehrer hatte er
keine Angst, vor Lehrer Maier, der Schreiben und Singen unterrichtete. Zu ihm
ging er immer gern. Er war ganz anders als die anderen Pauker, die die Schüler
genüsslich drangsalierten. Er hatte für sie immer ein gutes Wort und lobte sie.
Lehrer Maier mochte er.
Mit seinen Freunden Feigl, Kilian und Nafziger ging er jahrelang in
dieselbe Klasse. Sie klebten ihren Bärendreck, die gekauten Lakritzkugeln,
unter die Schulbank. Er ging auch zusammen mit Wilma in diese Schule. Doch am
Eingang gabelten sich ihre Wege. Die Mädchen wurden in getrennten Klassen
unterrichtet. In den Pausen waren sie auf dem Schulhof wieder beisammen und
spielten Nachlaufen oder standen in Gruppen zusammen. Einmal bot er ihr sein Pausenbrot
mit Wurst an. Als sie das sah, schüttelte sie sich und lehnte ab. Da erfuhr er,
dass sie als Metzgerstochter keine Wurst mochte, sie sogar verabscheute. Für
ihn unverständlich.
Aus Kindern wurden Jugendliche. Im Fremdenverkehrsamt an der
Bahnhofstraße begegneten sie sich wieder: Wilma war mittlerweile achtzehn, zu
einem schönen Mädchen herangewachsen und arbeitete in der Touristeninformation.
Gropper war ein Jahr älter und Gelegenheitsarbeiter. Nach dem Tod seines Vaters
musste er für die Familie Geld verdienen, für kurze Zeit auch in diesem
Tourismusbüro. Er holte die neuen Veranstaltungsblätter ab, um sie in den
Hotels auszulegen. Darin gab es Hinweise auf organisierte Wanderungen durch das
Werdenfelser Land, auf Führungen in den Wetterstein und den Karwendel, auf
Heimatabende, Lichtbildervorträge über den Geigenbau und die Lüftlmalerei. Er
klebte Plakate für Kurkonzerte, Ausstellungen und Volkstanzabende in
Originaltrachten. Gerne ließ er sich die neuen Werbebroschüren von Wilma in die
Hand drücken. Oft besuchte er das Tourismusbüro nur, um sie zu sehen. Nach
ihrem Dienstschluss gingen sie dann in eine Eisdiele oder in ein Café, wo sie
sich schon sehr erwachsen fühlten. An Sonntagen spazierten sie an der Isar
entlang und setzten sich ins Gras. Ihre vorsichtigen Berührungen elektrisierten
beide. Sie verliebten sich, schwärmten von ihrer Zukunft, von einem Häuschen im
Wald, und Wilma sprach sogar von Heirat und Kindern. Doch er heiratete
schließlich eine andere Frau, und Wilma zog mit dem Verkehrsamt von der
Bahnhofstraße um in das neue Rathaus in die Dammkarstraße.
Dorthin will er jetzt. Vielleicht arbeitet sie dort immer noch, auch
nach so vielen Jahren. Im Rathaus hat er sie zuletzt getroffen,
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