Nazigold
arbeiten. Fünf Jahre darauf ist er auf der
Walchenseeinsel Sassau tödlich verunglückt. Ein Baum hat ihn erschlagen, als er
beim Niederkrachen noch die Säge vom Schmauß retten wollte.
Damals hat ihm die Mutter seinen Lebenstraum verboten. So gerne wäre
Gropper Förster geworden. Nun musste er ihr versprechen, nie in einen Wald zu
gehen, da sonst auch ihn ein Baum erschlagen würde. Und er musste ihr
versprechen, nie die Insel Sassau zu betreten, da sonst auch ihn die Nixe vom
Walchensee holen würde. Seine Mutter wollte ihn nicht auch noch verlieren.
So wurde er als Achtzehnjähriger zunächst Gelegenheitsarbeiter, um
für die Familie Geld verdienen. Er wurde mal hier, mal dort eingesetzt. Auch
als Gerüstbauer für Lüftlmaler, wenn an einer Hausfassade ein altes Gemälde
restauriert oder ein ganz neues Bild gemalt werden sollte.
1931 erlitt seine Mutter einen Herzinfarkt und wurde in das
Mittenwalder Krankenhaus eingeliefert. Bei seinen Besuchen lernte er die
Krankenschwester Luise Rappert kennen, eine Schweizerin. Die Mutter starb, und
Gropper lebte nun allein mit seiner Schwester Theres in der Judengasse. Ein
Jahr später heiratete er Luise, sie zog zu ihm und drängte ihn, sich bei der
Polizei zu bewerben, um endlich einen anständigen Beruf zu haben. Kurz darauf
heiratete seine Schwester den Platzmeister des Sägewerks und zog in dessen Haus
neben dem Werk.
Gropper geht weiter. Er hat keine Lust, die alten Kammern
wiederzusehen, in denen sie gehaust haben. Es interessiert ihn auch nicht zu
erfahren, wer jetzt darin wohnt. Er will zu seiner früheren Gendarmeriestation
am Untermarkt.
Als er dort ankommt, flattert auch hier die US -Flagge.
Seine ehemalige Dienststelle ist jetzt das Quartier der amerikanischen
Militärpolizei. Auch vor diesem Eingang sind die Männer der Constabulary
postiert. Herrisch machen sie ihm klar, dass er hier nichts zu suchen hat. Die
neue deutsche Landpolizei befindet sich jetzt am Obermarkt. Genau da, wo er
hergekommen ist. Also wieder zurück.
Nach wenigen Schritten zerrt jemand an Groppers Trenchcoat. Korbi!
Hüpfend und lachend steht er vor ihm und zupft ihn immer wieder am Ärmel.
Gropper ist glücklich, ihn wiederzusehen. Er lebt also noch, damit hat er fast
nicht mehr gerechnet. Denn während seiner Abwesenheit wurden 1940/41 im Verlauf
der NS -Euthanasie auch mehrere behinderte Kinder
aus Mittenwald nach Eglfing gebracht, um sie zu vergasen – auf Anordnung des
damaligen Ortsgruppenleiters und Bürgermeisters Max Sattler. Wie hat Korbi es
geschafft, der Vergasung zu entkommen?
Der kleinwüchsige Korbi hüpft vor Freude, weil sein Freund wieder da
ist. Fröhlich will er ihm tausend Dinge auf einmal erzählen. Es sprudelt nur so
heraus aus seinem Mund, er überschlägt sich geradezu in wirrem Gerede. Dabei
springt er von einem Bein auf das andere, als würde er einen Tanz aufführen,
und lacht sein unheimliches, kehliges Lachen. Korbi ist der erste Mensch, der
sich freut, dass Gropper wieder da ist.
Gropper kennt ihn noch aus seiner Zeit als Jugendlicher und
natürlich als Gendarm. Sie hatten sich immer gut verstanden, denn er nahm Korbi
ernst und hörte ihm zu, auch wenn dieser stammelnd angeblich Unsinn erzählte.
Korbi sieht immer noch so aus wie früher: Sein kugelrunder Kopf leuchtet wie
ein Vollmond. Da er fast kahl ist, wirkt sein Schädel noch runder. Ihm wächst
auch kein Bart, obwohl er schon längst erwachsen ist.
»Des kommt von den Hormonstörungen«, haben die Mittenwalder gesagt.
»De san bei eam ins Ghirn krochn. Deshalb is ea so deppert.«
Keiner weiß, wie alt er ist. Wegen seiner vollkommen glatten
Gesichtshaut wirkt er alterslos. Er kann dreißig Jahre alt sein oder vierzig.
Es kann auch niemand sagen, wann und wo er geboren wurde. Plötzlich tauchte er
in Mittenwald auf. Es gab zwar viele Gerüchte, wer angeblich seine Eltern sind,
aber keiner wusste es wirklich. Er hatte keinen festen Wohnsitz. Den ganzen Tag
trieb er sich herum. Mal fand er für ein paar Tage Unterkunft beim Pfarrer,
beim Lehrer Maier oder bei der Alpinen Rettungsstelle. Manchmal hauste er sogar
in Heustadeln.
Der gutmütige, immer hilfsbereite Korbi kann sich nur durch
Stammeln, Gesten, durch Laute und drastische Geräusche verständigen. Doch er
hat ein phänomenales Gedächtnis. Korbi war immer schon körperlich sehr stark.
So wurde er gelegentlich als Hilfsarbeiter eingesetzt. Dafür erhielt er freies
Essen. Ansonsten ernährte er sich in den Wirtshäusern von den Resten
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