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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kohl
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auf den
Tellern. Im Winter schenkte man ihm zerschlissene Handschuhe, die keiner mehr
tragen wollte, und löchrige Socken. Korbi war für alles dankbar.
    Seine Herkunft ist völlig unklar. Man sagt, den Namen »Korbi« habe
er erhalten, weil er vor langer Zeit – keiner weiß, wann das war – als Säugling
in einem Weidenkorb auf der Isar dahergeschwommen kam und in Mittenwald am Ufer
strandete wie einst Moses am Ufer des Nils. Angeblich wollte man ihn »Moses«
nennen. Aber weil man keinen Juden im Ort haben wollte, beließ man es bei
»Korbi«. Andere behaupten, dass er eigentlich Korbinian heiße. Woher sie das
nun wissen, können sie aber auch nicht sagen. Vielleicht ist seine Herkunft ja
eine ganz andere. Vielleicht wurde er in Mittenwald geboren und von seinen
Eltern ausgesetzt, weil sie den Behinderten loswerden wollten. Lehrer Maier
hat, als Korbi etwa im Kindesalter war, vergeblich versucht, ihm das Lesen und
Schreiben beizubringen. Dem Pfarrer gelang es mit größerem Erfolg, ihm die Zehn
Gebote einzupauken.
    Gropper muss weiter zur Landpolizei und verabschiedet sich von
Korbi. Aber Korbi weicht nicht von seiner Seite, läuft neben ihm her, froh,
dass er seinen Freund wiedergefunden hat.
    In der Hochstraße deutet er hektisch auf ein rötlich verputztes
Haus, an dessen Fassade die verblassende Lüftlmalerei »Maria mit dem Jesuskind
auf der Flucht aus Ägypten« zu sehen ist. »Da, da, da«, stammelt Korbi und
lallt etwas, was nach »Ma – Ma – Ma« klingt. Seine Mama hat dort aber nicht
gewohnt. Nicht mal Korbi weiß, wer seine Mutter ist, und Gropper erinnert sich,
dass in diesem Haus zu seiner Zeit der Ortsgruppenleiter und Bürgermeister
Sattler wohnte. Als Gropper weitergehen will, hält ihn Korbi am Ärmel fest und
deutet wieder auf das Haus.
    »Was ist denn?«, fragt Gropper.
    Korbi gurgelt etwas Unverständliches. Als Gropper weitergeht, kommt
Korbi hinter ihm her und zieht an seinem Trenchcoat, als wollte er mit ihm
zurück und in das Haus hineingehen.
    »Das geht doch nicht, einfach so in das Haus hinein.«
    Für Korbi aber ist das anscheinend kein Problem.
    »Jetzt nicht«, sagt Gropper. »Später.«
    Korbi blickt ihn verständnislos und enttäuscht an.
    Vor dem neuen Revier der Landpolizei direkt neben dem Goethehaus
macht Gropper ihm entschieden klar, dass er nun zu tun habe, und wieder nickt
Korbi mit seinem strahlenden Vollmondgesicht begeistert.
    Als sich Gropper abrupt dem Reviereingang zuwendet, rennt Korbi wie
ein Verstoßener davon. Es tut Gropper leid, den armen Kerl so abgefertigt zu
haben.
    Gropper weiß, dass jetzt der alte Ferdinand Buchner Frühschicht hat.
Er hat ihm sein Kommen telefonisch angekündigt. Den Buchner kennt er schon seit
1932, als er selbst noch nicht bei der Polizei war, Buchner aber schon als
Gendarm in Mittenwald für Ordnung sorgte. In jenem Jahr wurde Gropper am
Ortsausgang von den neuen Braunhemden zusammengeschlagen und ließ den Gendarm
Buchner zur Hilfe herbeiholen. Bis dieser mit seinem Fahrrad ankam, waren die
grölenden Braunhemden natürlich längst wieder weg. In den Jahren darauf machten
sie dann gemeinsam Dienst: Gropper als Anwärter und Gendarm und Ferdinand
Buchner als Dienststellenleiter.
    Als sie sich nun wieder gegenüberstehen, ist ihnen, als hätten sie
sich erst vergangene Woche zuletzt gesehen. Doch jetzt ist Buchner schlecht
gelaunt. Das war er früher nie. Trotz seines Pensionswunsches ärgert er sich,
dass man nicht ihm den Fall Nafziger übertragen hat. Er mag es nicht, wenn sich
andere in seine Fälle einmischen. Am liebsten hätte er diese lokale
Angelegenheit selbst erledigt. Er weiß wohl, dass das dienstrechtlich nicht
geht, da er als Gendarm nicht ermitteln darf. Trotzdem findet er es nicht
richtig, dass man ihm für diese Geschichte einen Auswärtigen vorsetzt. Auch
wenn es sein früherer Kollege ist. Wer aus München kommt, ist nun mal ein
Auswärtiger. Hinzu kommt noch: Der Gropper war weg aus Deutschland und kehrt
nun als Kriminalkommissar zurück. Das wurmt Buchner.
    »Hast du dich auf dem Weg verlaufen? Kennst dich nicht mehr aus in
deinem Nest?«, begrüßt er Gropper grantig. »Seit bald einer Stunde warte ich
auf dich.«
    »Ist das alles, was du zu meiner Begrüßung sagst, nach so langer
Zeit?«
    Buchner reagiert darauf nicht, sondern kratzt sich an seiner dunklen
Warze neben der Nase und grantelt weiter: »Das mag ich gar nicht, wenn die
Leute zu spät kommen. Oder haben dich unterwegs die Amis festgenommen?

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