Nebelgrab (German Edition)
in den Nacken des Mannes. Der schrie auf und tanzte vor Schmerzen auf der Stelle.
Adrian überwand alle Schwäche, erhob sich und stieß Elke gegen ihren Freund. Marie warf mit einem Schrei ihr ganzes Gewicht gegen Regina Meester, die hart an die Wand schlug. Dann stolperte Marie zur Tür. Marie und Adrian nutzten das Überraschungsmoment aus, stießen die Tür auf und sprangen in Nacht und Matsch. Adrian half der Heimleiterin wieder auf die Füße. Beide keuchten, dann schlugen sie sich ins Gestrüpp.
Im Bauwagen tobten ihre Entführer; Regina sprang als Erste hinterher in die Dunkelheit. Adrian und Marie drückten sich zwischen die Bäume. In der Ferne hörten sie einen Hund bellen. Äste zerkratzten erbarmungslos ihre Gesichter, als die beiden Flüchtenden immer dichter ins Gebüsch vordrangen. Es dauerte nicht lange, bis sie leise das Flüsschen Niers plätschern hörten. Sie rutschten im weichen Blattwerk und morastigen Flussufer ständig aus und landeten schließlich mit den Beinen im Wasser. Die Niers war nicht tief, doch jahreszeitbedingt floss reichlich Wasser, sodass Adrian und Marie ein heftiger, eiskalter Schauder schüttelte, als sie fast bis zu den Hüften im Nass landeten.
»Los, weiter!« Adrian, der schon wieder Schritte hinter sich vernahm, hetzte Marie voran. Er packte sie am Arm, und während sie noch im Wasser waren, fummelte er an den Fesseln herum, bis sie sich lösten. Seine Hände waren eiskalt, aber in seinem Körper schien so viel Adrenalin zu explodieren, dass alle Schmerzen betäubt waren. Ein kurzes Stück nur noch, dann hatten sie den Wasserweg durchquert. Sie zogen sich mit Hilfe von Wurzeln am anderen Ufer mühsam die Böschung hoch. Wieder mussten sie starre, kratzende Zweige zur Seite drücken und versanken mit den triefenden Schuhen im Novemberboden. Sie zitterten ohne Unterlass, aber die Gefahr, die hinter ihnen lauerte, trieb sie voran.
Adrian wusste nicht, ob es das Wasser der Niers oder Tränen waren, die sein Gesicht nass gemacht hatten; er wusste nur, sie mussten das nächste Haus erreichen, sonst waren sie verloren. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, die sie in Dunkelheit über Wiesen, Felder, Schotter, durch Geäst und Gebüsch liefen. Hinter ihm keuchte Marie; er hörte neben ihrem Keuchen auch ihre Zähne klappern, doch sie sagte nichts. Vermutlich blieb ihr keine Luft zum Reden, genau wie ihm.
War es erst vor Kurzem gewesen, dass er aus dem Krankenhaus geflohen war? Wo war denn die Straße, die verdammte Straße? Sie müsste doch längst vor ihnen liegen. Er stolperte und fiel hin. Dabei hatte er das Gefühl, sein Kopf müsse sich jeden Moment vom Hals lösen und in den Schmutz fallen. Ihm war speiübel. Er spürte Maries Atem in seinem Nacken, ihre Hände, die an ihm zerrten, dann fühlte er etwas Neues: Es war kalt, es roch merkwürdig und es stupste ihn an verschiedenen Stellen im Gesicht an – ein Hund!
»Gott sei Dank«, hörte er Marie flüstern, die sich neben ihn auf den Boden sinken ließ.
»Ringo!«, schallte es durch die Nacht, und gleich noch einmal, gefolgt von einem Pfiff. Der Hund lief weg.
Marie schrie; es klang hysterisch, und dann war plötzlich ein Mann da und wieder der Hund. Das Tier sprang um Adrian und Marie herum, schnüffelte, wedelte mit der Rute. Mit überraschter und gleichzeitig besorgter Miene ließ sich der Mann von Marie über das Nötigste ins Bild setzen. Schließlich sagte er: »Da haben Sie aber verdammtes Glück gehabt, dass mein Hund diese Nacht die Scheißerei hat.«
Eine halbe Stunde nach ihrem Zusammentreffen
saßen Adrian und Marie in warme Decken gehüllt und bei einer heißen Tasse Tee im Wohnzimmer des Herrn, der sich mit Jansen vorgestellt hatte. Es blitzte zweimal, Adrian verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen und murmelte dann ein Dankeschön in seine Decke. Trotz aller Schmerzen hatte er daran gedacht, den Mann um ein Erinnerungsfoto zu bitten. In seinem Kopf schlummerte immer noch der Gedanke an seine Reportage.
»Wo ist der Schatz?«, fragte er Marie. Seine Sinne drohten zu kollabieren, doch sein Wille war der alte.
»Das verrate ich Ihnen, wenn Sie wieder auf dem Damm sind.«
Marie, die ihre Handgelenke rieb, bat Herrn Jansen um ein Telefon.
Der bärtige Hundebesitzer sagte: »Sie beide machen es ja ganz schön spannend. Von was für einem Schatz sprechen Sie denn? Darf ich mehr erfahren? Es passiert nicht alle Tage, dass ich zwei triefend nasse Menschen vom Feld aufgabele, die mir was von
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