Nebelgrab (German Edition)
wahr?«, sagte sie zu Elke gewandt, die den Becher austrank, ihn zurückstellte und dann neuen Kaffee eingoss.
»Ich bin der Zeuge, der Sie zur Strecke bringen kann«, wandte Adrian ein und versuchte ein mokantes Lächeln, das leicht in Schieflage geriet, »ich habe Sie im Antiquitätengeschäft erkannt.«
»Tja, das wird dir nichts nutzen, solange die Polizei nichts von mir weiß.«
»Sie wird es erfahren, ganz sicher. Was macht sie hier?«
Adrian zeigte auf Marie, die stumm und mit bangem Blick dem Dialog folgte.
»Sie ist der Schlüssel. Sie hat das Tagebuch gelesen.« Regina Meester ging langsam um Marie herum, strich ihr dabei mit einer Hand über Schulter, Rücken und Arm. »Sie wird uns nun berichten, wo der Schatz tatsächlich ist. Denn dass er nicht mehr im Garten ist, wissen wir auch. Hm, eigentlich bedauerlich, die Toten hätte es gar nicht zu geben brauchen.« Sie zuckte mit den Schultern und stellte sich mit verschränkten Armen vor Marie. Mit dem rechten Fuß trat sie vor ihr Bein. »Na los, Chefin, sag es! Wenn du immer noch nicht den Mund aufmachst, müssen wir uns leider an dem hübschen Jungen vergreifen.«
Und sie schickte Adrian ein Lächeln, das ihn wie eine Eisschicht umhüllte.
Marie wandte ihr Gesicht Adrian zu; zu seinem Entsetzen sah er, dass ihre rechte Gesichtshälfte geschwollen und zum Teil rot und blau angelaufen war.
»Ich hatte das Tagebuch Ihrer Tante, Herr Seemann. Nachdem Sie mich danach gefragt haben, habe ich es einem Freund gebracht, weil ich plötzlich Panik hatte, es könnten noch mehr Menschen sterben.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Adrian, »wenn das Tagebuch alles aufklärt: Warum haben Sie es nicht der Polizei gegeben?«
»Weil ich als Leiterin des Altenheimes einen schrecklichen Fehler gemacht habe. Und dem einen Fehler folgten weitere, um zu vertuschen, was meiner Karriere geschadet hätte.« Sie holte tief Luft, bevor sie weitersprach: »Ich war gerade neu im Heim, als diese Ausstellung zum Leben der Irmgardis vorbereitet wurde. Ich wollte mit dem pädagogischen Team etwas besprechen und bin in dessen Büro gegangen. Es war niemand dort, aber auf dem Tisch von Elke lag dieses Tagebuch. Ich wusste sofort, dass es etwas Besonderes war, denn es war sehr liebevoll in Sütterlin geschrieben. Ich nahm es in die Hand und schlug es auf der letzten Seite auf.«
»Warum die letzte Seite? Ein Buch beginnt man doch von vorn?«, warf Adrian ein.
»He! Ihr zwei Turteltauben, kommt zum Punkt!«, wurden sie barsch von dem fremden Kerl angehalten.
Marie fuhr unbeirrt fort: »Das ist ein Tick von mir. Bevor ich ein Buch vorne aufschlage, sehe ich mir den letzten Satz an. Und Ihre Tante hatte, da wusste ich aber noch nicht, wem das Buch gehört, als letzten Satz geschrieben: Wenn wir drei eines Tages nicht mehr sind, wird unser Geheimnis über die heilige Irmgard nur noch in diesem Büchlein stehen.«
»Und das hat Sie neugierig gemacht?«, fragte Adrian.
»Richtig. Ich habe das Buch einfach eingesteckt und bin wieder gegangen. Kennen Sie das Gefühl? Zu wissen, dass es falsch, aber gleichzeitig auch richtig ist, was man tut?«
»Oh ja, das kenne ich«, sagte Adrian und nickte.
»Das reicht jetzt, Chefin!« Regina Meester wurde ungeduldig. »Weiter jetzt! Wo sind die Schmuckstücke?«
Marie sah sie müde an. »Dass ich mich ausgerechnet in drei meiner Mitarbeiter so getäuscht habe«, flüsterte sie. »Der einzige, dem ich wirklich ein Verbrechen zugetraut habe, ist die Unschuld in Person, und diese beiden …« Sie machte ein Gesicht, als wollte sie Elke und Regina anspucken, dann sagte sie: »Na ja, es ist so, wie es ist. Wo der Schatz ist, sage ich erst, wenn ihr Adrian Seemann wieder freilasst.«
»Jetzt fang nicht an, die Heldin zu spielen!«, schimpfte Elke Fabian aufgebracht. »Herrje, Marie, sag schon, was sie wissen wollen!«
»Warum? Damit ihr uns beide dann mit durchgeschnittenen Kehlen in die Niers werft? Vergiss es!«
Maries linkes Auge schien plötzlich zu zucken. Adrian bemerkte es und dachte, sie würde in einen Weinkrampf ausbrechen, aber es flossen keine Tränen. Elke und Regina schimpften lautstark. Marie blickte schräg nach oben und das Auge zuckte wieder. Adrian folgte dem Blick und sah die Kaffeetasse, die immer noch dampfend neben dem Kopf des Mannes thronte. Er zog die Beine an, als er begriff.
Marie, die nur an den Händen gefesselt war, schnellte nach oben und stieß mit dem Kopf ans Bord. Die Tasse kippte und der heiße Inhalt ergoss sich
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