Nebelriss
Farghs Blick wurde kalt. »Schweig!«, schrie er in plötzlichem Zorn. »Habe ich dir nicht Demut beigebracht?« Er richtete sich auf. Seine knochigen Finger bohrten sich in Nhordukaels Schulter. »Wenn du keine Demut zeigst, wird Tathril dich vom Angesicht der Erde fegen. Die Weihe mag dich zu einem Priester gemacht haben, doch deine schwerste Prüfung steht noch bevor. Bald schon, bald …« Er atmete schwer. Langsam sank er auf das Bett zurück. »Lass mich allein. Ich will schlafen.«
Nhordukael richtete sich auf. »Wann wollt Ihr Bars Balicor empfangen? Er verlangt seit Tagen, zu Euch vorgelassen zu werden.«
»Ich will ihn nicht sehen!«, zischte der Hohepriester. »Ich habe schon zu viele Stunden mit diesem Heuchler vergeudet. Nichts von dem, was er mir zu sagen hat, ist von Bedeutung.« Wieder rannen Schleim und Speichel aus seinem Mund und verschleierten die hasserfüllten Worte. »Es ist eine Schande, dass dieser Mann mein Nachfolger werden soll! Seine Seele ist verdorben. Balicor verfügt über einen wachen Verstand, doch die Magie ist ihm fremd. Er spricht die heiligen Formeln, ohne an sie zu glauben, und wenn er die göttliche Macht benutzt, unterwirft er sich ihr, ohne sie zu begreifen! Tathril hat seine Schwäche längst erkannt. Als ich mit Balicor bei der Quelle war, beobachtete sie ihn voller Misstrauen. Wenn er sich ihr nicht beugt, wird sie sich eines Tages gegen ihn wenden.« Er wischte sich mit dem Handrücken den Speichel von den Lippen. »Wie konnte Tathril zulassen, dass dieser Schwächling zum Erzprior ernannt wurde? Wie konnte ich es zulassen?« Ein Husten schüttelte ihn. »Er wird die Kirche zugrunde richten! Schon lauert er darauf, dass ich die Augen für immer schließe …«
Nhordukael beobachtete den Hohepriester voller Neugier. Er wusste, dass Magro Fargh dem Erzprior nur wenig Sympathie entgegenbrachte. Doch mit solcher Deutlichkeit hatte er ihn noch nie von Bars Balicor sprechen hören.
»Es darf nicht geschehen«, stieß der Greis hervor. »Hörst du mich, Nhordukael? Wir müssen es verhindern. Die Feinde Tathrils nähern sich unseren Toren. Wenn die Goldei die heilige Quelle entweihen, ist dies das Ende unserer Kirche und das Ende jeder Hoffnung. Wir müssen sie bekämpfen! Doch dazu muss die Kirche stark sein, stark bleiben. Wenn dieser Schwächling zum Hohepriester geweiht wird, sind wir verloren.« Nhordukael blickte ihn erschrocken an. »Balicor ist Euer rechtmäßiger Nachfolger! Ihr selbst habt ihn zum Erzprior ernannt. Er genießt die Unterstützung der Tempelritter und des Thronrats!«
»Der Thronrat ist nichts als ein Haufen feiger Schurken, die sich von unserem Herrn abgewandt haben«, schrie Magro Fargh. »Du hast sie selbst gesehen! Sie sind ohne jeden Glauben, und sie erkennen nicht die drohende Gefahr! Mit ihren lächerlichen Schwertern wollen sie die Goldei aufhalten. Glaube mir, Nhordukael, nur die Kirche vermag diese Kreaturen zu besiegen. Und deshalb darf Balicor niemals mein Amt übernehmen!«
Nhordukael fühlte das Blut in seiner Stirn pochen. »Aber wer dann? Wer soll dann Euer Nachfolger werden?« Der Greis schwieg kurz. Sein Blick schien voll innerer Qual. »Ich muss weiterleben, Nhordukael. ICH MUSS WEITERLEBEN!« Sein Atem wurde schneller. »Ich habe den Tod nie gefürchtet. Als ich erkannte, dass Tathril mich zu sich rufen würde, habe ich mich diesem Schicksal gefügt, und ich sah dem letzten Tag mit Freude entgegen.« Die winzigen Augen füllten sich mit Tränen. »Doch ich darf nicht sterben! Nicht jetzt! Ohne mich ist die Kirche verloren! Ich muss weiterleben, verstehst du? Die Quelle …«
Nhordukael erbleichte. »Daran dürft Ihr nicht denken! Es wäre ein Verbrechen gegen Tathrils Willen.« »Es gibt keinen anderen Weg«, sagte Magro Fargh. »Ich werde deine Hilfe brauchen.« Sein Blick wandelte sich. Voller Freundlichkeit ruhten seine Augen nun auf Nhordukael. »Mein Bruder … du bist der Einzige, der mich versteht. Du wirst mich auf diesem schrecklichen Weg begleiten. Ich brauche deine stützenden Hände, deinen wachen Geist - und den starken Glauben, der in dir wohnt, Nhordukael.«
»Es ist eine Sünde, das Gesetz des Todes zu verletzen!«, stieß der junge Priester hervor. »Ihr selbst habt mir dies beigebracht!«
»Tathril ist es, der unser Schicksal lenkt«, gab Magro Fargh zurück. »Wir können uns nicht dagegen auflehnen.« Er schloss die Augen. »Du wirst mich zur Quelle begleiten, morgen schon.« Sein Tonfall ließ keinen
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