Nebelriss
betonte sie voller Inbrunst. »Sie werden den Tempel kaputtschlagen und alles verbrennen, was drinnen ist. Dann werden sie den Kaiser töten und seinen Palast in Schutt -und - Asche legen.«
»Was für ein Unsinn!«, rief Ashnada ungeduldig. Sie zog ein Messer hervor und brach damit die Versiegelung auf. »Dein Vater ist ein Trottel, wenn er dir solche Märchen erzählt. Und jetzt troll dich.«
Enttäuscht drehte der Junge sich um und schritt zum Torhaus zurück. Einige Male drehte er sich noch zu Ashnada um, doch als diese ihm mit der Faust drohte, begann er zu rennen und verschwand bald im Schatten des Torbogens.
Verärgert schüttelte Ashnada den Kopf.
Ungeheuer, die Feuer speien und deren Zähne aus Gold sind.
»Was für ein Unsinn!«, wiederholte sie leise. Die Gerüchte über die Wesen, die Gyr und Candacar erobert hatten, wurden immer wilder. Mal wurde behauptet, dass sie sich mitsamt ihren goldenen Schiffen in die Lüfte erheben konnten; ein anderes Mal hieß es, dass sie sich von Gold ernährten und deshalb die Städte und Dörfer plünderten, um an Münzen und Schmuckketten zu gelangen. Jedes Gerücht schrieb ihnen neue unheilvolle Kräfte zu. Ashnada glaubte von all dem kein Wort. Sie vermutete, dass der Thronrat bald ein Heer aufstellen würde, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.
Zweifellos würden die sitharischen Soldaten die Gelegenheit nutzen, um in Kathyga ein paar offene Rechnungen zu begleichen. Sie würden die Städte und Dörfer plündern, um mit prall gefüllten Taschen von diesem Feldzug zurückzukehren. Welch ein Jammer, dass Ashnada nicht mit ihnen ziehen konnte! Längst hatte sie den Dienst als Leibwache Bars Balicors satt. Sie verfluchte den Tag, an dem sie sich dem elenden Priester ausgeliefert hatte. Doch sie hatte geschworen, ihm zu dienen, bis er Hohepriester geworden war, und er hatte dafür ihr Leben geschont.
Wütend strich sich Ashnada das blonde Haar aus dem Gesicht. Sie besann sich der Schriftrolle in ihrer Hand. Langsam entrollte sie das Pergament. Die Botschaft bestand aus wenigen Worten, geschrieben mit wässriger Tinte. Die dünnen, ineinander verschlungenen Lettern hoben sich kaum vom Papier ab. Nur mit Mühe konnte Ashnada sie entziffern.
Ein scharrendes Geräusch ließ sie herumfahren. Am oberen Ende der Treppe hatte sich eine der Flügeltüren geöffnet. Ashnada erkannte die Gestalt des Priors, der mit hastigen Schritten die Stufen herabeilte. Rasch rollte Ashnada die Schriftrolle zusammen und ergriff ihr Schwert. Doch sie richtete sich nicht auf, sondern wartete, bis Balicor die letzten Stufen erreicht hatte. Erst dann erhob sie sich gemächlich.
Die Augen des Priors glitzerten vor Zorn. »Was sitzt du hier so faul herum?«, herrschte er sie an. »Weißt du nicht, dass du dich im heiligen Tempel des Tathril befindest, auf geweihtem Boden? Wenn ich wollte, könnte ich dich für diese Unflätigkeit drei Tage lang in den Kerker werfen lassen.«
Ashnada lächelte ihn an. »Drei Tage nur? Ich hoffe, Eure Mildtätigkeit wird nicht zur Gewohnheit.« »Stell meine Geduld nicht auf die Probe«, zischte der Priester. »Ich habe bereits genug Unannehmlichkeiten.« Verächtlich blickte er zu den betenden Novizen. »Den ganzen Morgen habe ich mir das Gejammere der Tempelritter anhören dürfen. Ich fürchtete schon, es würde gar kein Ende nehmen.«
»Haben die Ritter ihren Obersten Heermeister so sehr vermisst?«, fragte Ashnada lächelnd. »Eher ihren Tempelsold«, stieß Bars Balicor hervor. »Ihnen reicht die göttliche Gnade, die Kirche Tathrils beschützen zu dürfen, nicht aus. Stattdessen fordern sie mehr Geld für ihre Waffen und Pferde, angeblich, um gegen die Echsen gewappnet zu sein, von denen man in den Schankstuben munkelt. Habgieriges Pack! Sie faseln von einem Feldzug, den der Kaiser einberufen will.«
»Falls dies geschieht, wird die Kirche verpflichtet sein, dem Heer mit ihren Rittern zur Seite zu stehen«, erinnerte Ashnada ihn.
Balicor zupfte sich ungeduldig den Kragen seines Gewandes zurecht. »Für solch einen Unsinn hat die Kirche kein Geld. Wenn der Thronrat sein Heer nach Kathyga marschieren lassen will - Tathrils Segen sei mit ihm. Doch ich werde nicht einen Mann entsenden.« Er drehte sich dem Torausgang zu und bedeutete Ashnada mit einer unwirschen Geste, ihm zu folgen. »Der gesamte Orden befindet sich in einem miserablen Zustand. Die Ritter sind verweichlicht und aufsässig. Aber das wundert mich nicht im Geringsten! Unser verehrter Hohepriester
Weitere Kostenlose Bücher