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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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ließ Charog los. »Und wenn du die Quelle nicht schließen willst, werde ich es tun. Allein!«
    Das Kreischen hallte durch den Nebel, voller Schmerz, voller Wut. Es drang von allen Seiten heran. Hilflos starrten die Wachen in das graue Nichts. Hinter ihnen wichen die Zauberer voller Angst zurück. Wieder stieß eine Wache mit der Lanze in die Nebelschwaden. Traf auf keinen Widerstand. Stieß wieder und wieder zu, immer hastiger in seinem Wahn. »Verdammtes Echsenpack!«, schrie er. Stieß erneut zu. Dann kam blitzschnell die Kralle aus dem Nichts, griff nach seinem Hals und riss ihn mit sich. Der Nebel verschluckte ihn lautlos. Sekundenbruchteile, dann flogen die Lanzen der übrigen Wachen. Schon platzte der Nebel, und ein Goldei fiel zu Boden, tödlich getroffen, in den Klauen den abgetrennten Kopf seines Opfers. Die Wachen stürzten sich auf ihn. In ihren Schreien mischte sich Entsetzen mit Erleichterung: den Feind endlich zu sehen, ihm endlich nahe zu sein. Schwerter blitzten auf, blankes Metall sang in der Luft.
    Doch bevor sie ihn erreichten, sank der Nebel nieder wie ein schwerer Schleier. Und nun sahen sie die Goldei. Glitzernd kalte Schuppen, Funken sprühende Augen, Krallen so scharf wie Klippen am Meeresgrund. Goldene Rüstungen glommen im Schein des Feuers, das sich plötzlich wie ein Wasserfall über die Zauberer ergoss. Ein Pfeil durchbohrte den Kopf eines Wächters. Und dort brach der Nächste zusammen, als schwarzes Licht aus seinen Augen hervorbrach und ihn verrecken ließ. Schritte hallten auf der Steintreppe.
    »Bleib stehen, Sorturo!«, erklang Charogs Stimme, der die Stufen in großen Sätzen nahm. »Es ist Wahnsinn, was du tust! Bleib stehen!«
    Sorturo hatte das Ende der Treppe erreicht. Fast stieß er mit dem schwarzhaarigen, bleichen Jungen zusammen, der ihn unten erwartete, ein etwa zwölfjähriger, auffallend schmächtiger Knabe. In der Hand hielt er eine Fackel, hinter der sein unverbrauchtes Gesicht mit den eingefallenen Wangen, den großen braunen Augen zu sehen war. Er war ein Lehrling Sorturos; seit vielen Jahren unterrichtete der Zauberer den Knaben, den er für einen der talentiertesten Schüler der Magischen Universität hielt.
    »Laghanos - mein guter Junge!« Sorturo hielt inne, strich seinem Schüler über das kurze schwarze Haar. »Hast du das Buch mitgebracht?«
    Laghanos nickte. Zögernd schlug er den Umhang zurück, den er über seiner Kleidung trug. Der lederne Rücken eines schweren Folianten wurde sichtbar.
    Sorturo atmete hörbar auf. »Sehr gut, ja. Damit kann es uns gelingen.«
    Charog tauchte aus der Dunkelheit auf, blieb auf der sechsten Treppenstufe stehen. »Woher hast du das Buch?«, schrie er. »Du hast es heimlich beiseite schaffen lassen, nicht wahr? Es muss verbrannt werden! Ich befehle dir, es ins Feuer zu werfen, damit die Goldei niemals unser Wissen erlangen können!«
    Sorturo drückte Laghanos den Gang entlang, an dessen Ende eine eiserne Tür den Weg versperrte. »Hör nicht hin, Laghanos! Geh einfach weiter.«
    Charog wischte sich den Schweiß vom kahlen Haupt. »Ich befehle dir, stehen zu bleiben!«
    Laghanos warf seinem Lehrer einen verunsicherten Blick zu. Doch Sorturo schob ihn weiter voran. »Ich bin der Großmeister! Du hast meinem Befehl Folge zu leisten!«
    Sorturo wirbelte herum. »Großmeister, ja, das bist du! Doch wie lange noch? Wann begreifst du endlich, dass unsere Zeit vorbei ist? Nun sind die Goldei die Herren dieser Universität. Wir müssen die Quelle schließen, denn dies ist der letzte Dienst, den wir der Universität erweisen können!«
    Charog stürmte die Treppen herunter, als wollte er sich mit den Fäusten auf den Zauberer stürzen. Doch dann brach er vor Sorturo zusammen.
    »Ich bitte dich, tu es nicht!«, flehte er. »Die Goldei werden nicht ewig herrschen. Irgendwann wird der Spuk vorbei sein. Eines Tages werden wir zurückkehren.«
    Sorturo beugte sich herab und zog Charog zu sich empor. Sein Gesicht war müde und voller Trauer. »Es ist zu spät! Hilf mir, sie zu schließen, Charog! Allein kann ich es nicht schaffen!«
    Ein kalter Wind fegte durch den Gang.
    Der letzte Wächter fiel.
    Gespenstische Stille setzte ein, als die Goldei sich neu formierten. Kein Laut war zu hören, während sie sich zum Sturm auf die Universität bereitmachten.
    Vom Wachturm blickte einer der Zauberer, die Charog zur Verteidigung der Universität abkommandiert hatte, auf die Angreifer herab. Kalter Angstschweiß lief über seine Stirn.

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