Oliviane – Der Saphir der Göttin
1. Kapitel
»Das ist alles?«
Oliviane de Rospordon reckte das zierliche, energische Kinn eine Spur höher und straffte in verletztem Stolz die Schultern. Das schäbige Bündel ihrer Habseligkeiten entsprach nicht gerade der Mitgift einer Tochter aus edlem Hause, sie wusste es selbst am allerbesten. Aber der Mann, der sie heiraten wollte, tat es wegen ihres Namens und nicht wegen ihrer Reichtümer. Hätte sie dergleichen besessen, hätte nicht einmal ihr Großvater verlangt, dass sie sich mit diesem Ungeheuer verheiraten ließ.
»Was hat er erwartet?«, murmelte sie aufsässig. Es war für die Ohren ihres Großvaters bestimmt, aber dennoch so laut, dass auch der Mann es hören musste. »Aussteuerkarren und Geldsäcke? Es ist nicht zuletzt Herren wie dem seinen zu verdanken, dass unsereins kaum noch das Nötigste zum Leben besitzt!«
»Hüte deine Zunge, Mädchen!«, zischte der Seigneur de Rospordon und stützte sich wie üblich auf seinen Stock, weil die zugige Feuchtigkeit des Steinhauses seinen alten Knochen zusetzte. Er hielt sich unter Schmerzen gerade. »Es sind die Männer deines künftigen Gemahls, und du wirst ihnen gehorchen und mir keine Schande machen. Du hast mir dein Wort gegeben! Das Wort einer Rospordon!«
Die Züge der jungen Frau erstarrten zu einer reglosen Maske, hinter der sich die Gedanken jagten. Auch wenn sie dazu gezwungen worden war: Sie hatte einen Schwur geleistet, und sie war bereit, ihn zu halten. Deswegen stand sie ja in dieser leeren Halle und ließ sich von einem wüsten Haufen kräftiger Flegel begaffen. Sie wurden von einem bärtigen Hünen befehligt, der eher wie der Gehilfe des Satans als der Seigneur eines Herzogs aussah. Aber diesen Titel hatte sich Paskal Cocherel, der Herzog von St. Cado, ja auch selbst verliehen.
»Es ist nicht nötig, dass Ihr mich daran erinnert, Großvater!«, sagte sie mit spröden Lippen und fixierte die fadenscheinigen Banner der Rospordons, deren Reste hoch über den Köpfen der Besucher im Zugwind wehten. Sie besaßen nicht mehr als die Ehre ihres Namens, und sie würde nie und nimmer diejenige sein, die ihn in den Schmutz zog.
»Dann geh mit Gott und meinem Segen«, bellte der alte Mann und zeichnete seiner Enkelin mit knochigen Fingern ein flüchtiges Kreuz auf die makellose Stirn.
Oliviane murmelte einen kaum hörbaren Dank und heftete einen unterkühlten Blick auf den Bärtigen, der den Abschied mit nachlässig verschränkten Armen beobachtet hatte. Seine Haltung ließ trotzdem keinen Zweifel daran, dass er so schnell wie möglich aufbrechen wollte und jede Verzögerung seinen Unwillen erregte. Sie spürte förmlich seine Gereiztheit, die ihn wie ein unsichtbarer Mantel umgab.
»Seid Ihr bereit?«, fragte er mit der rauen Stimme, die den bretonischen Dialekt, den er sprach, noch gewöhnlicher klingen ließ.
Oliviane zögerte einen Moment. Sie hatte in seiner Gegenwart ausschließlich das höfische Französisch des Hochadels gesprochen. Zuzugeben, dass sie seinen Dialekt verstand, bedeutete, sich auf dieselbe Stufe wie er zu begeben. Ihr Stolz bäumte sich dagegen auf, aber sie wollte nicht schon in Gegenwart des alten Mannes den ersten Streit vom Zaun brechen. Sie schloss stumm ihren Umhang und nickte. Das konnte er nun auslegen, wie er wollte.
Viel zu schnell stand sie auf den unregelmäßigen Pflastersteinen des Hofes, der auf drei Seiten von den grauen Granitmauern der Burg und der Stadtbefestigung begrenzt wurde. Es war das einzige Stück Heimat, das sie kannte. Weshalb musste sie es verlassen?
»Man hat mir gesagt, Ihr könnt reiten«, drang die raue Männerstimme erneut in ihre Gedanken. »Mein Herr hat Euch einen sanften Zelter geschickt, der einer Dame angemessen ist! Was Eure Magd betrifft ...«
»Ich habe keine Magd!«
Unerschrocken hielt sie dem düsteren Blick stand, der ebenso schwarz wie Bart, Haupthaar und Brauen des Mannes war. Irgendwo in der Tiefe ihres Magens krampfte sich etwas zusammen, aber sie widerstand hartnäckig der Versuchung, als erste die Augen abzuwenden. Am Ende war er es, der die Schultern zuckte und der Sache etwas Positives abgewann.
»Umso besser, sie hätte uns ohnehin nur aufgehalten! Ich hatte schon befürchtet, einer der Männer müsste sie vor sich auf den Sattel nehmen. Es gibt genügend Frauen in der Burg von Cado!«
Oliviane wandte sich ein letztes Mal zu ihrem Großvater um. Er stand auf den Eingangsstufen, schmal und grau, als wäre er selbst schon ein Teil der verwitterten Mauern. In
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