Nebelschleier
reichen Reeders in einer Villa in Blankenese befragen.
»Bist du ach schon emal bei em Mord in so einer Villa gwesn?«
»Kann schon sein.«
Georg Angermüller sprach nicht gern über seine Arbeit. Seit 15 Jahren war er bei der Bezirkskriminalinspektion Lübeck tätig, mittlerweile als Kriminalhauptkommissar, und er wusste, dass die meisten Leute dachten, sein Job sei so überschaubar, unterhaltsam und sauber wie bei diesen Fernsehkommissaren. Dass man aber oft auch am Rand der Gesellschaft ermittelte, wo die Verwahrlosung und Hoffnungslosigkeit hautnah zu spüren war, die hilflose Gewalt, mit der ein Mensch daraus auszubrechen versuchte, und dass Gut und Böse sich im Lauf der Zeit zu sehr relativen Werten wandelten, das sahen die Leute nicht. Und nur er und seine Kollegen wussten, wie schwer diese Erfahrungen zu verdauen waren. Die anderen fanden es einfach nur spannend, wenn sie erfuhren, dass er bei der Kripo war. So auch seine Schwester.
»Ich stell mir des ja aufregend vor, immer so mit Mördern und Verbrechern.«
»Es gibt Schöneres, kann ich dir sagen!«
»Ja, schon. Aber des is wenigstens net langweilig. In unserm Kaff hier bassiert ja nie was!«
Als seine Mutter sich um zehn ins Bett zurückgezogen hatte, war er mit seiner Schwester noch einmal durch das Dorf spaziert. Sie begegneten keinem Menschen, nur ein einziges Auto fuhr an ihnen vorbei. Es war jetzt richtig kalt und in der Luft lag Holzfeuergeruch. Kurz hatte er daran gedacht, noch bei Johannes und Rosi vorbeizuschauen, als sie an dem Bauernhof mit dem großen Bioland-Schild vorbeigekommen waren, aber hier wie in den meisten anderen Häusern war es schon dunkel. Nur aus dem schicken Landhotel, das früher einmal ein einfacher Braugasthof gewesen war, fiel ein heller, warmer Lichtschein auf die Straße. Erst als sie sich daraus entfernt hatten, konnten sie wieder den Nachthimmel sehen, der sternenklar war.
»Morchn wird’s wieder schö!«, versprach Marga.
Georg Angermüller nahm sich eines der knusprigen Brötchen und bestrich es mit Butter.
»Was ist denn mit dem Wetter los? Ich dachte, heute wird’s wieder gut, Marga?«
»Des wird scho! Die letzten Dage hammer oft Hochnebel ghabt am Morgen, wirst scho sehn, spätestens gegen halb elf, elf kommt die Sonn durch.«
Marga behielt recht. Als sie ihr ausgedehntes Frühstück beendet hatten, der Tisch abgedeckt und das Geschirr abgewaschen war, was Georg gegen den Protest seiner Mutter mit seiner Schwester erledigt hatte, klarte es auf. Georg nahm sich die Coburger Zeitung, die, solange er denken konnte, hier im Haus gelesen wurde, und setzte sich auf die Bank, die hinterm Haus in dem großen Garten stand. Um ihn herum blühten die Dahlien in kräftigen Farben. Er vergaß zu lesen und versank in den Anblick der sanften grünen Hänge unter dem blassblauen Himmel, zwischen denen sich die Itz schlängelte, nur zu erkennen an den Bäumen, die ihre Ufer säumten. Er war völlig entspannt. Nichts war zu hören außer Vogelzwitschern, Insektengesumm und ab und zu ein ärgerliches Murmeln seiner Mutter, die im Garten das heruntergefallene Obst aufsammelte. Die Äpfel und die Birnen packte sie in einen großen Weidenkorb. Als er sah, dass sie den Korb allein schleppen wollte, sprang er auf, ihr zu helfen.
»Ist viel dran an den Bäumen, was?«
»Da is so viel dran dies Jahr, des könne mir ja gar net alles verbrauchn.«
Es klang fast ein wenig vorwurfsvoll. Er nahm ihr den Korb ab.
»Wo soll der hin?«
»Stell ihn emal vorn ans Hoftor. Vielleicht nimmt ja wer was mit davo.«
»Das schöne Obst! Da freut sich doch bestimmt jemand drüber!«
»Von wechn! Die Leut kaufen ihr Zeuch heut doch lieber alle im Supermarkt. Dei Schwester Lisbeth will ja ach nix davo. Des is dene alles zu viel Arwed!«
Seine Schwester Lisbeth hatte in die Stadt geheiratet und ihre dörfliche Herkunft abgestreift wie eine alte Haut – dazu gehörten auch ihre Mutter und ihre Schwester. Lisbeths Mann war Abteilungsleiter bei einer großen Versicherung, und sie hatte dort als Sachbearbeiterin gearbeitet, bis sie schwanger wurde. Sie lebte mit Mann, zwei Kindern und Hund in einem großen Haus im Süden von Coburg und war immer sehr beschäftigt mit sportlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten. Ihr Kontakt nach Niederengbach beschränkte sich auf unumgängliche Pflichttermine und auch Georg telefonierte mit ihr höchstens an Geburtstagen und zu Weihnachten.
»Vielleicht kümmt ja der Dürk wieder vorbei – der
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