Neben Der Spur
Betrieb …?«
Der Kommissar hat genickt und sich weiter Notizen gemacht.
Worauf Gudruns Mut wuchs. Sie hob das Kinn, setzte ein Argument drauf, das allen Verdacht sofort zerstreuen musste: »Und selbst wenn unser lieber Valentin aus jugendlicher Verwirrtheit heraus auf eine solch obskure Idee käme, glauben Sie mir, Herr Kommissar, so etwas würde er seinem Onkel niemals antun! Er liebt ihn mehr als uns alle.«
Auch das war gelogen. Valentins Bewunderung für Hermann ist seit der Pubertät merklich abgekühlt. Und hat er nicht vor wenigen Wochen den alten Herrn völlig aus der Fassung gebracht? Er sollte Hermann am Rheinufer spazieren schieben und war entgegen seiner sonstigen Disposition auch dazu bereit. Hermann freilich schien nach der Begegnung völlig verstört. Der Vali sei ein Luder, ein falsches Luder, hat er lamentiert. Was er wenige Minuten später schon wieder vergessen zu haben schien. Denn da weinte er, rief mehrmals Valentins Namen, kündigte an, ihm alles zu vermachen …
Gudrun hütet sich, der Polizei von dem Ereignis zu erzählen. Familienstreitigkeiten machen die Hepps seit Generationen unter sich aus. Und das ist gut so.
Weshalb ihr Neffe dann ausgerechnet kurz vor dem hundertsten Geburtstag seines Großonkels auf Tour gegangen sei, wollte der Kommissar wissen.
Weil ihm der Rummel um das Jubiläum höchst zuwider ist, hätte Gudrun bekennen müssen. Doch hätte diese Äußerung wohl kein gutes Licht auf die Familie geworfen. Also versuchte Gudrun, Verständnis zu wecken: Ihr Neffe Valentin habe seit dem spektakulären Tod seiner Eltern eine gewisse Pressephobie, ließ sie verlauten, was wegen des wenig sensiblen Umgangs mit ihm seinerzeit verständlich sei. Deshalb habe Gudrun ihm selbst geraten, seine Reise ohne Rücksicht auf den Termin anzutreten. »Wissen Sie, für meinen Onkel ist das tatsächliche Datum nicht wichtig. Wir werden seinen Geburtstag familienintern zu gegebener Zeit nachfeiern.«
Der Kommissar schien zufrieden, nickte wie ein Grundschullehrer, der eine richtige Antwort erhalten hat, fragte nach gekündigten Werksmitarbeitern, nach feindselig gesonnenen Menschen im Dorf. Davon gebe es genug, bekannte Gudrun und zählte jeden auf, der ihr seit ihrer Schulzeit einmal mit schiefen Blicken begegnet war. Mit all den Namen, die Gudrun liefern konnte, dürfte die Polizei eine Weile beschäftigt sein.
Die Sonne ist unterdessen über das Wäldchen entlang der Bahntrasse geklettert und strahlt, als gelte es, das schlechte Wetter der letzten Tage wettzumachen. Gudrun fröstelt es dennoch in ihrer Strickjacke. Zügig marschiert sie zum Wohnhaus, findet den neuen Krankenpfleger die Motorwelt lesend im Foyer, Hermann noch immer schlafend im Bett. Da begibt sich auch Trixi unaufgefordert in ihren Korb und klappt die Augen zu.
Gudrun kämpft gegen ihre Müdigkeit an, tröpfelt ein wenig Orangenaroma auf ihre Handgelenke, richtet ihre Frisur und zieht die Lippen mit einem rosafarbenen Wachsstift nach. Es ist Punkt acht. Das Gros der Mitarbeiter versammelt sich auf der Rasenfläche hinter dem Verwaltungsbau und beginnt mit den ganzheitlichen Frühgymnastik-Übungen, die Personalbeauftragte Bärbel Fried dem Bestseller Sport und Spiritualität entnommen hat und nun den Kollegen bei schönem Wetter vor Arbeitsbeginn gratis anbietet. Für Gudrun eine hervorragende Gelegenheit, um ungestört mit Rolf zu sprechen.
Sie nimmt, weil der Weg durch das Foyer des Firmengebäudes weiterhin mit Folien und Banderolen abgesperrt ist, einen der Notausgänge und folgt der Eisentreppe zur oberen Etage. Die Tür zu Rolfs Büro steht einen Spalt auf, er hockt an seinem Schreibtisch. Das Kinn wie der rodinsche Denker auf die Handfläche gestützt, fixiert er den 24-Zoll-Bildschirm seines Rechners und klappert mit der Maustaste. Die Fensterscheibe in seinem Rücken reflektiert grellbunte Gebilde, die sich hektisch in düsterem Umfeld bewegen, Feuerkugeln blitzen auf. Rolf spielt Base Defender.
»Guten Morgen«, sagt Gudrun, müht sich um einen gelassenen Gesichtsausdruck, richtet den Blick auf seinen wie immer korrekt sitzenden Schlips.
Rolf springt auf, kommt auf sie zu. »Guten Morgen, mein Herz! Hoffe, du hast trotz all der Aufregung gut geschlafen. Hmmm?«
Gudrun lässt sich auf die Wange küssen. »Danke der Nachfrage! Trixi hat sich heute Nacht mehrmals übergeben. Da war an Schlaf nicht zu denken.«
Rolf wiegt verständnisinnig den Kopf: »Trixi ist halt auch nicht mehr die Jüngste.«
»Wieso
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