Neben Der Spur
widersprechen, parodiert einen Bassbariton: »Da hast du heute aber einen Schreck gekriegt, was, Hermann?«
»Schrecklicher Krieg … wieder Krieg.« Er lässt den Kopf zur Seite sinken. »Gudrun hat gelogen.«
»Was war im Krieg, Hermann?«
»Ach!«, krächzt er, schweigt, kaut seine Zunge. Die Augen fallen ihm wieder zu.
Karo gibt nicht auf. »Da fielen Bomben, da wurde geschossen, nicht wahr, da starben Menschen.«
Er stöhnt auf, hebt eine zitternde Hand, raunt, als offenbare er einem guten Freund ein Geheimnis: »Verschanz dich, schnell … alles voller Blut und Asche … Das Bein, das Bein zerfetzt, besser als der Kopf … besser als der Bauch … Überall Blut und Asche …« Schweißperlen erscheinen auf seiner Stirn, das Kinn klappt auf, als wollte er schreien. Doch dann entringt sich ihm nur ein gequältes Stöhnen.
Karo gruselt es. Nix wie weg! Zumal eine Zigarettenlänge um ist und der Pfleger bestimmt gleich zurückkommt. Sie reißt das Fenster auf, springt aufs Sims und dann ins Freie. Die Tasche mit der Kamera prallt schmerzhaft aufs Knie, touchiert fast den Boden. Gott sei Dank nur fast.
Da bellt ein Hund los. Karo erstarrt und das Gekläff schwillt ab. Die Quelle des Geräuschs taucht stumm vor ihr auf. Es ist keiner von den Schäferhunden der Polizei, sondern ein blonder Riesenköter, der neugierig den Kopf neigt.
Was für ein Glück, dass Karos Kollegin beim Tagblatt auch so ein Viech und Karo gelernt hat, mit ihm umzugehen. »Guter Hund«, flüstert sie, »guuuter Hund.« Sie fummelt ein Lakritzbonbon aus der Schachtel, reicht es ihm auf der flach ausgestreckten Hand. Tatsächlich lässt sich das Tier bestechen, kaut und kaut, frisst Karos restliche Tagesration und trollt sich endlich. Die abziehende Spezialeinheit samt Feuerwehr hat seine Neugierde geweckt. Karo nutzt das allgemeine Durcheinander, um unauffällig zu verschwinden.
Zu Hause wirft sie sich mit ihrem Laptop ins Bett, tippt mit dem Eifer einer Besessenen eine anrührende Geschichte: ein verwirrter Greis, der Zeuge eines Terroranschlags wird und seine Kriegstraumata nochmals durchlebt. Sie betrachtet die Fotos. Die lassen einen Hermann Hepp erkennen, wie sie ihn im Dämmerlicht und in ihrer Aufregung nicht hat sehen können: einen hageren Weißhaarigen mit schmalem markantem Gesicht, das von einem Gitternetz feiner Falten überzogen ist. Die kleinen hellen Augen starren an der Kamera vorbei ins Leere, der Mund ist nachdenklich geöffnet. Kurzum: Die Fotos sind der Hammer.
Karo ist fast fertig, nur die Überschrift fehlt noch. Sie köpft eine Sektflasche, die sie zu Weihnachten vom örtlichen Reitverein für ihre Werbereportage Gut aufgezäumt erhalten hat. So eine tolle Überschrift muss ihr heute wieder einfallen. Sie trinkt ein Glas und dann noch eins, schreibt schließlich: Ein altes Trauma – neu entzündet. Na ja, toll ist das nicht, aber in einer Stunde ist Redaktionsschluss. Sie begießt ihren Mut mit einem dritten Glas und schickt die Datei ab.
Am nächsten Morgen genügt ein Blick in die Zeitung, um Karo zu ernüchtern. Alex’ Bericht ist drin, Alex’ Fotos sind drin. Karos Beitrag fehlt. Und als sie in der Redaktion ankommt, ist der Löffler atypisch ärgerlich.
»Was sollte das denn, Karo? Der Alte war nie im Krieg.«
»He?«
»Hat als Nervenkranker die Jahre in einem Privatsanatorium in der Schweiz überlebt. Hat nie einen Schützengraben oder einen Panzer aus der Nähe gesehen.«
»Aber warum erzählt er dann … «
»Hättest nur mal unser Archiv bemühen müssen. Da steht nicht viel, aber genug über Hermann Hepp. Alex hat’s in null Komma nix ausgekramt.«
»Ach ja, Alex!« Karo petzt die Lippen zusammen, um nicht laut aufzustöhnen.
»Du solltest ihm dankbar sein. Hätten wir deine Ente abgedruckt, wie stünden wir jetzt da?«
Karo schweigt lieber.
»Außerdem solltest du aufhören, auf Alex rumzuhacken. Er hat sich schon bei der Geschäftsleitung beschwert, dass du ihn mobbst.«
»Ich? Ihn?« Karos Stimme kippt vor lauter Empörung. »Er mobbt mich! «
»In der Chefetage gilt er als wahrer Glücksgriff, schreibt gut und schnell, recherchiert gründlich …«
»Der kann doch bloß fleißarbeiten, sonst nix, der Schleimschei…!« Angesichts Gerd Löfflers Miene beschließt Karo, den Mund zu halten.
Aber zu spät, er hat das Wort wohl schon zu Ende gedacht. Seine Dackelaugen verengen sich wie selten. »Sorry, Karo, wir können keinen Kleinkrieg in der Redaktion gebrauchen. Ich denke, du
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