Neben Der Spur
Freie wie Karo heißt das drei Wochen keine Gage. Und dass sie die Eltern anbetteln muss, um über die Runden zu kommen. Statt der teuren Eiweiß-Shakes kommt vorläufig bloß so billiges Zeug wie Brot und Marmelade infrage, wo doch alle Welt weiß, wie dick das macht! Mit den örtlichen Szenelokalen ist vorläufig auch nix, also wird sie lange keinen Kerl kennenlernen.
Karo seufzt, haut sich aufs ungemachte Bett, schaltet den Laptop ein. Die blöde Brumme, die schon gestern Abend Karos einzige Gesellschaft war, fährt aus den Kissen und dreht surrend ihre Bahn. Sie haben keine neuen Nachrichten in ihrem Postfach, meldet das Mailprogramm. Bei Facebook sind momentan nur ein paar Loser unterwegs. Karo will kein Loser sein. Wenigstens die Fliege soll das wissen. Karo greift nach der Klatsche. Als das Viech es wagt, sich Beinchen reibend auf der F1-Taste des Laptops niederzulassen, schlägt sie zu. Und erschießt eine Charge Aasgeier bei Desert Hunter. Dann dröhnt sie sich mit The Killers zu. Bei Dustland Fairytale laufen Karo die Tränen, bei Andy, you’re a Star klopft die Wut in ihren Adern. Und die Tränen laufen trotzdem.
Also Killers aus, Laptop beiseite. Und noch mal das Interview auf dem Handy abhören. Zum fünften oder sechsten Mal lauscht Karo den geflüsterten Schreien: »… Kugelhagel von der Brücke her … verschanz dich, verschanz dich, alles voller Blut und Asche … Bei einem Bauchschuss, da bist du dran … Überall Blut und Asche …«
Wie kann einer so reden, der nie an irgendwelchen Gefechten beteiligt war? Zu viele Kriegsfilme geguckt?
Ach, egal! Karo fallen die rot geheulten Augen zu. Sie sollte sich eine Bloody Mary mixen und schlafen. Aber Karo will nicht schlafen. Schlafen kann man genug, wenn man tot ist, sagt der Vater immer. Karo ist kein bisschen tot, ganz im Gegenteil. Sie holt sich eine Dose Red Bull aus dem Vorrat und klappt den Laptop wieder auf.
Die Frage, die sie sich schon viel früher hätte stellen können, drängt sich jetzt mit Macht auf: Was weiß Google über Hermann Hepp?
Karo tippt den Namen samt Anführungszeichen in die Suchmaske ein. Klar, der Alte ist nicht der einzige, der so heißt. Der erste Hit zeigt einen Gynäkologen, der zweite einen Spediteur, dann kommt noch mal der Gynäkologe und dann ein Richter … Erst auf der zweiten Seite oben taucht der Gründer der Hepp-Werke in Mainz auf. Und zwar auf der Homepage der Firma, Subseite Firmengeschichte. Karo überfliegt die Zeilen wie in Trance:
Hermann Hepp wurde im Juli 1911 in Oranienburg, in der legendären, von Lebensreformern gegründeten Obstbaukolonie Eden geboren, und zwar als ältestes Kind des gelernten Kaufmanns Heinrich Hepp und dessen Ehefrau Luise (geborene Nagel). Hermann Hepp verbrachte seine frühe Kindheit in Eden, zog im Jahre 1921 mit der Familie nach Mainz, wo der Vater ein Reformhaus eröffnete und nebenbei etwas Landwirtschaft nach den biologisch-dynamischen Prinzipien Rudolf Steiners betrieb.
Hermann besuchte die Lateinschule und begann sein Studium der Chemie im Jahre 1929 an der Ludwigsuniversität in Gießen.
Kein Wehrdienst oder so? Karo ist verblüfft. Konnte man den damals schon verweigern?
1932 brach er sein Studium aus gesundheitlichen Gründen ab, trat bald darauf in die Firma Knorr ein, wo er einige Jahre als Laborant im Haupthaus in Heilbronn arbeitete. Während der Dreißigerjahre pflegte Hermann Hepp engen Kontakt zu bekannten Vertretern der Vollwertlehre, unter anderem zu Werner Kollath und Max-Otto Bruker. Er besuchte auch Maximilian Bircher-Benner auf dem Zürichberg und beschäftigte sich mit dessen Prinzipien einer gesunden, ursprünglichen Ernährung. Bald unternahm er eigene Experimente mit Gemüsebrühkonzentraten und Leguminosen. Seine Ergebnisse begeisterten den Vater, der im Jahre 1940 die Firma Hepp & Söhne gründete.
Söhne? Karo überlegt. Also gab es Geschwister. Alle tot wahrscheinlich.
Das Unternehmen florierte, belieferte die Reformhäuser im Land, schließlich sogar das Ausland.
Nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs, während dessen die Firma Hepp im Wesentlichen als Lieferant von Brühwürfeln und Fleischersatz für die Armee verpflichtet wurde, konnte das Unternehmen 1948 neu gegründet werden.
1948, da gab’s die Währungsreform, fällt Karo ein. – Kein Kunststück also, die Neugründung, wenn die Rezepte und alles Inventar noch vorhanden waren.
Nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1958 übernahm Hermann
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