Neben Der Spur
Verschluss gehört er.
In diesem Moment surrt das Telefon, vermutlich die Versandabteilung, die schon gestern irgendwelche Prospekte gesucht hat … Er bückt sich, um den Ordner aufzuheben. »Ach, möchten Sie bitte mal rangehen, Frau Rosenkranz!«
»Möchte ich nicht. Ist ja Ihr Telefon!«, entgegnet sie bescheiden, als habe sie nur den Griff in eine Keksschachtel dankend abgelehnt. Wendet sich umgehend wieder den gehefteten Papieren zu, blättert fasziniert vor und zurück.
Impertinent ist sie auch noch! Hans-Bernward geht, um den Hörer abzunehmen, meldet sich mit knappem »Ja« und beschwichtigt die Versandabteilung: »Natürlich sind noch Prospekte da. Und zwar – äh – im Keller, links, hinten, rechts unten …«
»Ist ja toll!«, empfängt ihn die weiterhin am Boden kauernde Neue mit aufgerissenen Augen, nachdem er die Versandabteilung endlich losgeworden ist.
»Bitte, liebe Kollegin, dies ist eine völlig überkommene und ohnedies gegenstandslose Korrespondenz.« Er entreißt ihr mit sanfter Gewalt den Ordner und klappt ihn zu. »Inzwischen einvernehmlich beendet.«
»Ja, stellt denn die Firma Hepp auch Abnehmsuppen her? Das wusste ich gar nicht.«
»Man sagt nicht Abnehmsuppen, das ist unwissenschaftlich. Es muss Diätmahlzeiten heißen.« Hans-Bernward atmet tief durch, ihm ist in seiner Wolljacke nun doch etwas warm geworden. »Und nein, es gibt nur eine kleine Forschungsanlage. Außerhalb. Ein winziges Tochterunternehmen, das auch von hier aus verwaltet wird. Ein Projekt, wenn Sie so wollen, mehr nicht.«
»Ein spannendes Projekt.«
»Finden Sie?«
»Aber hallo! Suppen, mit denen man erfolgreich abnehmen kann, sind doch ein Thema. Jeder Zweite ist übergewichtig, habe ich gerade wieder gelesen.«
Hans-Bernwards Blick fällt auf seinen Bauch. Von den beiden in diesem Raum befindlichen Personen ist er zweifellos der Zweite. Und damit in der Defensive. »Das Projekt befindet sich in der Versuchsphase«, sagt er und macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ob etwas daraus wird, wissen wir nicht. Und dieser Briefwechsel gehört eigentlich in mein Büro …«
Die Neue lässt nicht locker: »Finde ich toll, dass die Firma sich an so was ranwagt«.
Hans-Bernward windet sich. »Eigentlich widersprechen solche Produkte dem Vollwertgedanken, dem sich die Firma Hepp von ihrem tradierten Selbstverständnis her verpflichtet fühlt. Deshalb zunächst die Auslagerung des Projekts nach Tschechien. Bei der entsprechenden Reife der Rezeptur wird man dann prüfen, inwieweit sie in Bio-Qualität übertragbar ist.«
Die Rosenkranz scheint nicht zuzuhören. »Gibt’s schon ein paar – äh – Diätmahlzeiten, die man probieren könnte? Ich würde mich jederzeit zum Testessen zur Verfügung stellen.«
»Unmöglich. Das Produkt kommt ausschließlich für Übergewichtige infrage.«
Sie sagt nichts, schaut ihn ernst an und rasch weg. Hans-Bernward weiß, was sie denkt. Vielleicht sollte er besser auf seinen Nachmittagskuchen verzichten, eine Weile wenigstens.
Da dreht sie sich um. Ihre Augen blitzen. »Und Sie? Wollen Sie nicht selbst einmal …?«
Nein, sie muss den Satz nicht zu Ende formulieren, ehe er dazwischenfunkt: »Danke für die freundliche Empfehlung, Frau Rosenkranz. Die Produkte werden von einem unabhängigen Forschungsinstitut in einer wissenschaftlich überprüfbaren und nachvollziehbaren Weise getestet. An einer sicherlich ausreichend großen Zahl freiwilliger Personen.«
Hans-Bernward hat Mühe, seine Empörung zu verbergen. Doch wenigstens hat er jetzt einen Anlass, die Zwischentür zuzumachen. Er klemmt sich den Ordner unter den Arm, will den Ort seiner Schmach hoch erhobenen Hauptes verlassen – da rollt Hermann Hepp durch die Tür, geschoben von der Chefin selbst.
»Wir möchten der Belegschaft herzliche Grüße von Valentin ausrichten, der ja auf Pilgerreise in Nordspanien unterwegs ist«, sagt Gudrun fröhlich.
Der Senior nickt, als habe er selbst den Text verfasst, den sie nun vorträgt.
»Es geht ihm, abgesehen von einer Blase an der Ferse, sehr gut«, erzählt Gudrun weiter und schmunzelt dazu. Von der misslichen Situation der Firma derzeit wisse Valentin natürlich nichts, versichert sie und bittet die Belegschaft, ihm diesbezüglich auch keine Nachrichten zukommen zu lassen. Valentin solle seine Reise in vollen Zügen genießen.
»Das versteht sich«, sagt Hans-Bernward und hebt emphatisch beide Hände.
Die Rosenkranz lächelt gleichmütig.
Da beugt sich Gudrun zu Hermann
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