Neben Der Spur
sollten Sie sich einfach die Zeit nehmen, sich zu akklimatisieren«, sagt er. »Machen Sie sich mit der Firma und mit Ihren Kollegen vertraut. Dann erst sprechen wir ausführlich über Ihre konkreten Aufgaben.«
Holla! Das erscheint Karo absolut großzügig. »Super Vorschlag«, sagt sie.
»Nun denn …« Rolf Westenberger erhebt sich langsam. Was wohl ein Signal sein soll, dass er das Gespräch für beendet hält. »Ich wünsche Ihnen einen guten Start«, sagt er und wiederholt seinen kumpelhaften Schulterschlag von vorhin. »Sie finden allein zu Ihrem Arbeitsplatz? Oder soll ich Frau Fried rufen?«
»Bloß nicht«, rutscht es Karo raus. Sie besinnt sich. »Ich meine: Bloß nicht solche Umstände. Ich finde mich allein zurecht.«
In ihrem Büro ist unterdessen eine Wandlung vor sich gegangen. Die Lotosblume ist von der Fensterfront verschwunden. Stattdessen prunkt dort ein buntes Glas-Mandala. Karo nimmt es ab, hängt es wie eine Weihnachtskugel in die Zimmerlinde und beschließt, die neue Tunika vorerst im Schrank zu lassen.
Anhaltendes Regenwetter. Das Außenthermometer erreicht mit Mühe die Sechzehn-Grad-Marke. Hans-Bernward de Beer hat sich demonstrativ in seine wollene Tweedjacke gehüllt und einen Kaschmirschal um den Hals geschlungen. Auf Wunsch von Frau Fried bleibt die Heizung aus. Im Sommer zu heizen, sei ein Umweltfrevel sondersgleichen, hat sie gesagt, dabei die beiden S in »sonders« derart zischend hervorgebracht, dass ein wahrer Spuckeregen auf ihre nähere Umgebung niederging und niemand zu widersprechen wagte.
Sehr geehrte Damen und Herren …, tippt Hans-Bernward mit lethargischem Tempo in die Tastatur. In Beantwortung Ihres Schreibens vom … beantworte ich gern Ihr Schreiben wie folgt …
Hans-Bernward müht sich vergeblich um Konzentration. Im Spalt der geöffneten Zwischentür blitzt immerzu die schmale, heute in allen Grauschattierungen gekleidete Gestalt der Neuen auf, die zwischen Schrank und Schreibtisch hin- und herwuselt, offenbar um Akten, Bücher und Arbeitsgerät neu zu ordnen. Warum macht sie das? War doch alles übersichtlich aufgeräumt.
Sie hat eben von nichts eine Ahnung. Ist sowieso eine Fehlbesetzung, wie man hoffentlich bald bemerken wird. Man hätte sich mit der Ausschreibung viel mehr Zeit lassen müssen. Die Neue weiß rein nichts von Anthroposophie, biologisch-dynamischer Landwirtschaft, geschweige denn Spagyrik. Nicht einmal über Marketing und Werbestrategie scheint sie orientiert. Dieses sei »hip« und jenes sei »flop«, entscheidet sie in ihrer hohlen Sprache. Aus dem wohl buchstäblich hohlen Bauch heraus, denn sie isst kaum einen Happen.
Er würde gar zu gern die Zwischentüre schließen, um die Neue nicht mehr im Blickfeld zu haben, ihre gelegentlichen Selbstgespräche: »Oups, was’s das denn?«, begleitet vom Quietschen ihrer Plastikpantinen nicht mehr zu hören. Doch unvermittelt die Türe zuzumachen, wäre unhöflich. Unhöflichkeit ist nicht Hans-Bernwards Art.
Er könnte sie fragen, ob er ihr einen Zichorie-Trunk oder einen Grüntee aus der Kantine mitbringen solle, da er ohnedies beabsichtigt, sich dort etwas zu trinken zu holen. Dann könnte er nämlich die Tasse mit einem freundlichen Kopfnicken – ›Sie sind selbstverständlich eingeladen, Frau Rosenkranz!‹ – bei ihr absetzen, wie aus Versehen die Türe schließen. Und hätte seine Ruhe vor ihr. Doch sein Angebot dürfte keine Chance auf Erfolg haben. Schließlich ließ sie erst gestern wissen, dass sie sich am liebsten selbst mit einem Spezialgetränk aus Schwarztee und Bionade versorge. Tatsächlich bringt sie sich immer eine große bunte Picknickflasche mit undefinierbarer brauner Brause mit.
Ein klatschendes Geräusch aus dem Raum nebenan unterbricht Hans-Bernwards missliche Gedanken.
»Huch!« und »Autsch!«, stöhnt die Neue kaum verhalten.
Hans-Bernward sieht seine Chance. Nun kann er in allerritterlichster Manier seine Hilfe anbieten, anschließend die Tür zumachen. Ende des Problems.
»Haben Sie sich verletzt, Frau Rosenkranz?«
»Boah«, sagt sie, anstatt Antwort zu geben. Sie kauert über einem Ordner mit dem Schriftverkehr betreffs einer Apothekenfirma, die glaubte, ihre Hightech-Abnehmpülverchen vor der Wissbegier der Firma Hepp unter Androhung eines Rechtsanwalts verteidigen zu müssen. Ein absurder Briefwechsel, den Hans-Bernward vor gut einem Jahr zu führen hatte. Der Ordner sollte keinesfalls im Nebenraum stehen, der gehört in Hans-Bernwards Büro. Unter
Weitere Kostenlose Bücher