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Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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Karo, »aber normalerweise habe ich kein Problem mit Fenstern.« Sie legt ihre Mappe und ihre Jacke auf dem Schreibtisch ab und öffnet die Rolltür des Regals. Ganze Stapel abgegriffener Ordner aus Altpapier liegen kreuz und quer. Sie schließt die Rolltür rasch wieder.
    Frau Frieds Redefluss bricht jäh ab. Sie deutet auf Karos T-Shirt und scheint entzückt: »Isch hätt wisse müsse, dass Sie auch eine Suchende sind. Des Mandalla auf Ihne-Ihrm Rücke …«
    »Mandala?« Karo hat vorgestern auf dem Flohmarkt eine blassgrüne Tunika erstanden und, damit das Teil ein bisschen was hermacht, auf dem Rücken ein Muster ausgeschnitten, wie sie es im Grundschulalter mit mehrfach gefalteten Seidenpapierbögen gelernt hat. Damals bekam Karos Mutter das Endprodukt zum Muttertag geschenkt – als Platzdeckchen.
    Frau Fried spricht von der Suche nach »Tranzendensch«, und »nachhaltischer Hammonie mit dem Univäsum«.
    »Ach so, ja klar«, sagt Karo, »das wär nicht schlecht«.
    Frau Fried lächelt milde. »Sie wisse es nur noch nischt, auch Sie sin eine Suchende. – Awer jetzt werd isch Sie Ihne-Ihrn neue Kollesche vorstelle.«
    Sie führt Karo durch die Büros des Verwaltungsflügels, lässt sie viele, viele Hände schütteln: Herr Kraus, Buchhaltung, Frau Walter, ebenfalls Buchhaltung, Herr Kestner, EDV, Herr Blome, Vertrieb, Frau Schwarz und Frau Kaiser, Poststelle … Namen und Funktionen ohne Ende. Karo zählt zwei Männer mit Zopffrisuren, zwei Frauen mit Birkenstocksandalen, gesamt drei selbst gebatikte Shirts, vier Quarzperlenketten, fünfzehn Atomkraft-nein-danke-Buttons – und ist beruhigt. Damit lässt sich auskommen.
    Beiläufig denkt sie darüber nach, wer wohl von all diesen Leuten ihr was zu sagen hat. Außer Frau Fried dürfte das zumindest der Kollege in der Werbeabteilung namens de Beer sein, der auch bei ihrem Vorstellungsgespräch dabei war: ein Riese mit viel Bauch, wenig Schulter, gutmütigem Gesicht und langsamer Motorik. Er erhebt sich, reicht Karo die Pranke, sagt »Willkommen« und setzt sich wieder. Das mürrische Mienenspiel, mit dem er sich hinter einem Stapel Aktenordner verschanzt, nimmt ihm Karo nicht ganz ab.
    »Ist er auch ein Suchender?«, fragt sie, als sie mit Frau Fried wieder im Flur steht.
    Die Antwort kommt unumwunden: »Awer der ganz beschdimmt!«
    An den Schluss ihrer Tour durch den Verwaltungsbau hat Frau Fried die Gefilde des smarten Mittfünfzigers mit der Gelfrisur gelegt, Geschäftsführer Rolf Westenberger.
    Sein Arbeitszimmer ist das schmuckloseste von allen. Und bemerkenswert unalternativ: Ein aufgeräumter Glasschreibtisch mit metallenem Container, eine kleine Sitzgruppe mit Moleskin-Polsterung und eine zweifellos echte Aquarelllandschaft zeugen von vornehmem Understatement. Sein Auftreten eher nicht. Er erhebt sich betont eilfertig, reckt sein markantes Kinn und begrüßt Karo wie einen Geschäftsfreund mit ausgestreckter rechter Hand. Die linke landet prompt auf Karos Schulter. »Herrrzlich willkommen!«
    Karo staunt. Dunkler Anzug, weißes Hemd, bunt schillernder Schlips, Breitling-Chronograf … Der Mann könnte genauso gut CEO bei Siemens, BMW oder Procter & Gamble sein.
    Frau Fried verschwindet mit einer wortreichen Entschuldigung durch die Tür.
    Rolf Westenberger dirigiert Karo in die Besucherecke, schiebt ihr einen Stuhl zurecht. »Bitte nehmen Sie Platz. Wir haben uns noch gar nicht richtig kennengelernt, nicht wahr?«
    Karo beschließt, sich ausgesucht höflich zu benehmen. »Danke, sehr gern.«
    »Da ist noch eine Kleinigkeit, die ich mit Ihnen besprechen möchte«, sagt er und räuspert sich. »Sie haben einen guten Draht zum Tagblatt, nicht wahr? Das ist zweifellos vorteilhaft. Einerseits. Andererseits … wie soll ich es sagen …« Er ringt die Hände, als wolle er beten.
    »Andererseits haben Sie Angst, ich könnte Dinge erzählen, die ich hier mitbekomme«, unterbricht ihn Karo.
    Er räuspert sich schon wieder. »Angst ist nicht das richtige Wort.«
    »In meinem Arbeitsvertrag ist ja ein Passus enthalten, dass ich nichts ausplaudern darf.«
    »Genau. Und daran wollte ich Sie erinnern. Frau Hepp möchte sicher sein, dass wir Ihnen vertrauen können.«
    »Klar doch«, versichert Karo, hebt die rechte Hand zum Schwur, kreuzt sicherheitshalber den Mittel- und den Zeigefinger der linken unter dem Tisch. Weil böse Mädchen nie wissen können.
    Der Geschäftsführer ist zufrieden, entwickelt eine kumpelhafte Fröhlichkeit.
    »In Ihrer ersten Arbeitswoche

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