Neben Der Spur
hinab, dicht an sein linkes Hörgerät heran. »Schau, Onkel Hermann, unsere just eingestellte Mitarbeiterin der PR-Abteilung, Frau – äh – Rosenkranz …«
Der Senior starrt sie an. Die Neue weicht zurück, scheint ungewohnt verlegen.
Wohl deshalb fährt Gudrun rasch fort. »Frau Rosenkranz, Sie werden unseren Jubilar schon erkannt haben, nicht wahr? Sie sehen den Mitbegründer unserer Firma, denjenigen, dem wir die Grundrezepte für unsere vorzüglichen Produkte verdanken …«
»Rosa«, haucht er wie entgeistert, manövriert sich in seinem Rollstuhl auf die Neue zu, ergreift zitternd ihren rechten Arm.
»Karoline Rosenkranz – ein schöner Name, nicht wahr, Onkel Hermann?«
»O ja!«, sagt er, streichelt die zierliche Hand, als handele es sich um ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen. »Ich begrüße Sie ganz herzlich im Namen der Familie Hepp!«
Gudrun sieht drein, als sei schon wieder ein Zündsatz hochgegangen.
Der Alte strafft sich. »Bitte besuchen Sie mich bald in meinem Kontor«, sagt er unvermittelt und ganz im Tonfall des Patriarchen, den Hans-Bernward einmal gut gekannt hat. »Sehr bald sogar, morgen früh! Ich, ja, ich ersuche Sie darum!«
Mit schlappen Knien und flauem Magen folgt Karo der Chefin zum Wohnhaus, wo Hermann Hepp sein »Kontor« unterhält. Hat der Alte sie erkannt? Warum will er sonst mit ihr reden? Was, wenn er auspackt? Wenn er erzählt, dass sie am Tag des Anschlags in sein Schlafzimmer eingedrungen ist? Dann ist sie ihren Job gleich wieder los. Womöglich mobilisieren die Hepps die Staatsanwaltschaft: Hausfriedensbruch, Vorspiegelung falscher Tatsachen … und als Folge Berufsverbot, vielleicht Geldstrafe. Knast?
Noch scheint die Chefin keine Ahnung zu haben. Geht federnden Schritts in ihren Klettverschluss-Sandalen voran, entschuldigt sich für die Blumenrabatten, die etwas vernachlässigt seien, da der mit der Pflege beauftragte Betrieb derzeit komplett Urlaub nehme. Nun sei der Rittersporn von Mehltau befallen und der Helianthus zeige verkrüppeltes Blattwerk. »Ein Jammer«, seufzt sie in spöttischer Überzeichnung der Lage.
Karo tut interessiert, scrollt die Beete mit den Augen ab, unterbricht mit gelegentlichem »Ach ja« und »Ach so«, hält ansonsten die Klappe, zumal sie keine Ahnung hat, welches von all den bunten Gewächsen ein Rittersporn und was ein Helianthus ist. Erst mal ruhig bleiben und abwarten, beschließt sie. Schließlich gilt der Alte als ein bisschen ballaballa und sie kann alles abstreiten. – ›Oh, nein‹, könnte sie beteuern, ›ich habe das Haus nie betreten. Wie könnte ich! Wurde ich doch von der Redaktion früh zurückberufen. Er verwechselt mich‹, könnte sie sagen und allergrößte Verwunderung vortäuschen.
Da! Zu Karos Entsetzen prescht ihnen Retrieverdame Trixi entgegen, springt Karo an, leckt ihr die Hand.
Gudrun Hepp zeigt freudiges Erstaunen: »Trixi scheint Sie sehr zu mögen.«
»Ich mag Hunde auch gern«, lügt Karo, wischt die nassen Finger unauffällig an der Rückseite ihres Kleids ab. »Besonders solche großen und – ähemm – lebhaften.«
Am Wohnhaus angekommen, müht sie sich, das sie ständig mit der Schnauze anstupsende Viech zu ignorieren und in den Small Talk der Chefin einzusteigen. Lobt die imposante Dachkonstruktion, die originelle asymmetrische Anordnung der Fenster, den grüßenden Sandsteinjüngling am Portal …
Gudrun Hepp quasselt wie eine Fremdenführerin, erzählt von einem begnadeten Konstrukteur, der darum bemüht war, die anthroposophische Bauweise mit Jugendstilelementen zu versöhnen. Das Haus stehe daher unter Denkmalschutz, was natürlich seine Umgestaltung nach energiesparenden Kriterien etwas erschwere, um es präziser zu sagen: extrem verteuere. Dabei kippt der weißblonde Helm schelmisch zur Seite, die graublauen Augen blitzen hinter dem Visier.
Karo lächelt artig, richtet ihren Blick wieder auf den Sandsteinjüngling und gibt Trixi einen Stups, um sie endlich auf Abstand zu halten.
Trixi winselt leise, leckt Karo die Finger.
»Guuuter Hund!« Karo folgt der Chefin durchs Entree in einen sechseckigen, von trübem Glasmosaik bedachten Innenhof in Hermann Hepps Kontor.
Der scheint sie schon zu erwarten, thront im Nadelstreifenanzug samt Weste und Fliege hinter einem von Büroutensilien spärlich bedeckten dunklen Schreibtisch. Deutsche Eiche, mindestens. In Fensternähe plätschert ein Zimmerspringbrunnen aus hellem Speckstein, verbreitet Blumenduft. Von der Stirnseite des
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