Neben Der Spur
Und dass sie mit Rolf den Falschen erwischt haben, weil Gudrun Hepp die Drahtzieherin ist bei dem ganzen miesen Geschäft.
Jetzt kribbelt Valentin der rechte Arm. Er rollt sich zurück auf den Bauch, muss den Nacken verdrehen, um einigermaßen durch die Nase atmen zu können. Sie sollen Rolf nicht allzu hart anfassen, wird er ihnen sagen. Eine Weile gefesselt und geknebelt zu sein, ist wahrhaftig eine hinreichende Tortur.
Immerhin ist Valentins Lager weich und nachgiebig. Fühlt sich an wie eine Matratze, eine Matratze in Folie, wie man sie neu kauft. Die stinken auch so.
Eine neue Matratze? Dafür würde die FFA nie Geld ausgeben!
Der Securitymensch am Eingangstor der Firma Hepp wirft einen kritischen Blick auf Karos abgestempeltes Einladungsschreiben. Man hat es ihr zugeschickt, damit sie an ihrem ersten Arbeitstag trotz des noch fehlenden Betriebsausweises problemlos Einlass bekommt. Er liest, nickt, will aber ihre Bürotasche inspizieren.
Karo demonstriert Gelassenheit, breitet ihre Utensilien vor ihm aus. Portemonnaie, Smartphone, Lippenstift, Hausschlüssel, Fotoapparat, Thermoskanne …
»E Thermosskann? Was is ’n drin?« Der Mann schraubt an der Öffnung, schnuppert.
»Brennnesseltee«, behauptet Karo, in der Hoffnung, dass er die Lightlimonade nicht am Geruch erkennt.
Er rümpft die Nase, schraubt die Flasche wieder zu, greift nach der Kamera. »Un wodezu brauche Sie des?«
»Zum Fotografieren«, sagt Karo.
»Wolle Sie misch verar…?«
»Ich arbeite in der Pressestelle.«
»Ach so.« Er scheint beeindruckt, dreht das Gerät um und um, betrachtet die Linse, den Sucher, das Display …
Karo will zu einem genervten Seufzer anheben, da kommt ihr eine Stimme zu Hilfe, hell und schrill wie Spatzengezwitscher: »Lasse Sie die jung Frau ruhisch erei, Herr Moser. Sie is unser neu Mitarweiderin.«
Karo erkennt in der heranflatternden Gestalt die Personalbeauftragte Bärbel Fried, die sie beim Einstellungsgespräch mit Kaffee und aufmunternden Blicken versorgt hat.
»Willkomme, Frau Rosegrans!« Sie ergreift Karos Hand und schüttelt sie. »Isch bring Sie zu Ihne-Ihrm Arweitsplatz.« Die von Kajal gerahmten Glupschaugen schimmern gelblich, ebenso die ärmellose, einen kaum vorhandenen Busen bedeckende Seidenbluse. Eine grau melierte Fisselmähne, die sich unter ihren Achseln fortzusetzen scheint, verströmt Kräuterteeduft. »Komme Se mit!«
Frau Fried geht wippenden Schritts neben Karo her, erzählt von einem bösen »Kaamaa«, das die Firma just »durch den feische Anschlach« befallen habe, sich aber nun zum Guten zu wenden beginne und sicherlich bald aufgelöst sei. Und dass Frau Rosenkranz als externe Hilfe in dieser Sache fungieren könne, da sie unbefangen sei und mit einem »frische Geischt« ihre Arbeit aufnehmen könne. Und ob sie schon gefrühstückt habe.
Karo will nachdrücklich bejahen, aber Frau Fried ist schon bei der Aufzählung einiger Köstlichkeiten, die die Kantine als »Schnäcks« anbietet: Hirse-Croissants mit Carob-Glasur, Dinkelwraps, gefüllt mit fassgereiftem Sauerkraut, nicht zu vergessen das ganze Angebot köstlicher Suppen … Es klingt, als spreche sie von Trüffeln oder Kaviar.
Sie dirigiert Karo durch einen Seiteneingang in den Verwaltungsflügel, dann eine Fluchtwegstreppe hinauf: »Unser kaputtes Foijer wird nächscht Woch renoviert.«
Der Flur, der beide nach Öffnung einer Brandtür empfängt, riecht dezent nach Fernost. Und sieht auch so aus. An den orange getüpfelten Wänden entfalten sich vereinzelt Lotosblüten-Poster in Rosa und Weiß. Aus einem plätschernden Springbrunnen aus Basalt ragt ein stilisierter Kranich, bereit, in Richtung Notausgang zu starten.
»Des hier is Ihne-Ihr Zimmer.« Frau Fried lächelt verheißungsvoll und winkt Karo durch eine sperrangelweit geöffnete Glastür. Ein Raum wie Milch und Honig tut sich auf, mit warmbeige getünchten Wänden und mattgolden nachgedunkelten Kiefermöbeln: ein Schreibtisch, ein kleines Regal mit Rolltür, ein Büroschrank. Der wird flankiert von einem Bastkübel mit mannshoher Zimmerlinde. Im Fenster hängt ein Glasmosaik in Gestalt einer aufblühenden Lotosblume.
Frau Fried hat das Schmuckstück eigens für Karo besorgt, wie sie erklärt, da das Fenster des Raums direkt gegenüber der Tür liegt, was Feng-Shui-Regeln zufolge das Qi zum sofortigen Exodus animiere. Ein Fensterbild dagegen lade das Qi zum Verweilen ein und lasse es durch den Raum flanieren.
»Danke, das ist sehr freundlich«, sagt
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