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Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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Bauch.
    Es quiekt und keckert, versteckt sein Gesicht im Haar der Mutter, um sich nach ein paar Sekunden wieder nach Karo umzudrehen.
    »Jannis mag Sie«, sagt die Mutter.
    Karo wird verlegen. »Er ist hinreißend«, sagt sie. Und sie meint es sogar. »Wie alt ist er?«
    »Zehn Monate. Haben Sie auch Kinder?«
    »Nein, noch nicht«, hört Karo sich sagen. Und findet es plötzlich gar nicht mehr ausgeschlossen, selbst mal so einen kleinen Kerl auf dem Schoß sitzen zu haben. Vielleicht. Irgendwann einmal. Später. Viel später.
    Jannis sieht Karo direkt in die Augen, streckt ihr eine flache Hand mit gespreizten Fingerchen entgegen.
    »Das heißt: give me five« , übersetzt die Mutter. Die dunklen Ringe unter den Augen sind fast verschwunden.
    Karo fährt ihre rechte Hand aus und patscht gegen Jannis’ Finger. Er kräht vor Vergnügen.
    Babys sind schon was Tolles, denkt Karo. Aber was, wenn irgendwas schiefgeht. Wenn Karo … wenn Karo zum Bespiel ein Kind wie Mira bekäme. Eines, das plärrt und schreit und verrückte Dinge tut. Aber niemals zurücklächelt. Niemals Give-me-five spielt. Einem nicht einmal in die Augen sieht. Würde sie dann durchdrehen, in eine Parallelwelt abhauen wie Bea? Karo hat keine Ahnung, was sie dann tun würde. Muss sie auch nicht wissen. Sie hat ja kein Kind, keins wie Jannis, keins wie Mira. Besser so!
    »Höfchen/Listmann«, kündigt der Leuchtriemen an der Busdecke die nächste Haltestelle an. Karo erhebt sich erleichtert, nickt Jannis und seiner Mutter noch einmal zu und steigt aus. Folgt dem Bürgersteig in Richtung Fußgängerzone – und traut ihren Augen nicht: Entlang der Geschäftsfassaden tapert Mira. Oder eine Doppelgängerin: schmale Gestalt, schulterlange braune Locken, die unter einer Baseballmütze hervorquellen. Das Mädchen geht langsam, schaukelnd, so wie Mira oft. Fassenachter würden ans Schunkeln denken: Gell, du host misch gelle-gern, gelle isch disch aach … Üwerzwersch würde der Schorsch das nennen. Vielleicht ist Karo auch schon üwerzwersch? Mira ist in einem Heim untergebracht. Wie soll sie hierher gekommen sein? Das Mädchen ist bloße Einbildung, ein kurzzeitiges Aussetzen der Neurotransmitter im Gehirn. Oder, wenn man so will, eine Reinkarnation von Gedanken, wie Frau Fried sie zuhauf an sich beobachtet.
    Vor lauter Irritation stolpert Karo über einen Rehpinscher, findet endlich ihre Balance wieder, kann Hund und Herrchen mit einer Demutsgeste beruhigen und sich mit Bedacht umsehen: Kaufhaus, Fotoladen, Reisebüro – alles wie sonst auch. Das Mädchen ist weg. Na also!
    Karo atmet auf, geht langsam weiter, biegt in die Fußgängerstraße ein. Das erste Schuhgeschäft auf ihrer Strecke ist nicht mehr weit. Sie besinnt sich auf das, was sie sucht: hellbeige Sandaletten, Stiletto-Absatz und hauchdünne Riemchen. Das mache extrem lange und sexy Beine, so stand es neulich in einer Modezeitschrift. Um die hundert Euro dürfen die Schuhe gern kosten, wo Karo jetzt so viel Geld verdient.
    Da! Hinter der ersten Biegung taucht es wieder auf, das Mira-Gespenst. Es folgt einer Girlande weißer Steine, die – in rotes Sandsteinpflaster eingelassen – die Fußgängerzone verzieren. Bei der Schwelle zu einem asphaltierten Abschnitt bleibt es stehen und hüpft mit geschlossenen Füßen drüber. Eine froschgrüne Kindergartentasche springt unter der unförmigen Strickjacke vor, baumelt am Rücken.
    Karo steht wie angekettet. Das Kind ist echt. Das Kind ist Mira. Mit seitlich geneigtem Kopf, als denke sie nach, steht Beates autistische Tochter mitten in der City und mustert das Pflastermuster. Nestelt sich die Tasche vom Hals, holt etwas raus, kniet sich hin und malt damit einzelne rote Klinker weiß an. Die Baseballmütze scheint zu stören. Mira legt sie, Wölbung nach unten, Kuhle nach oben, neben sich ab.
    Eine grau melierte Dame im Kostüm bleibt stehen, lässt eine Münze in Miras Mütze fallen. Andere Passanten werden aufmerksam, lächeln gerührt, zücken ihre Portemonnaies und werfen einige Cents dazu.
    Mira nimmt davon keine Notiz, malt wie besessen.
    Bis ein Mensch mit Schnauzbart stutzig wird. Kein Wunder, Mira ist zu klein, um mit Einverständnis der Stadtverwaltung zur kulturellen Bereicherung der Innenstadt beizutragen. Der Mann beugt sich zu ihr hinunter, sagt etwas.
    Sie ignoriert ihn, malt weiter.
    Er streicht ihr mit der Hand übers Haar.
    Dann kommt, was kommen muss: Mira springt auf und kreischt, schlägt um sich …
    Karos Starre löst sich, sie

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