Neben Der Spur
Dabei hätten Leute von der Zeitung immer drauf gelauert, dass er aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrt. Da wären die sicher über ihn hergefallen. Aber es hieß, er sei auf der Insel Krim vermisst. Manche haben das nicht geglaubt, haben behauptet, der würde längst irgendwo in Südamerika hocken und es sich gut gehen lassen. Wie so viele andere Naziverbrecher.
Als wäre das Kommando dazu ergangen, heben alle ihr Glas und nehmen einen tiefen Zug, allerdings ohne sich zuzuprosten. Es folgt eine Schweigeminute.
Rick bestellt ungefragt eine zweite Weißweinschorle für seine ›Braut‹ und stellt die Frage, die Karo auch auf der Zunge liegt: »Was war denn damals genau los, bei den Hepps?«
Was damals los war, weiß der Gernot nur vom Hörensagen. Dass nämlich der Hermann Hepp Juden versteckt habe, die sein Bruder Helmut irgendwann entdeckt und erschossen habe und dafür mit einem Orden oder so ausgezeichnet worden sei. Die Geschichte gehört so weit auch zum innerdörflichen Allgemeinwissen. Wie Hermann Hepp daraufhin ins Irrenhaus kam und wie lebendig wieder raus, scheint Stoff für Legenden, zumal die Hepps dazu eisern schweigen. Es gab Gerüchte, wonach sie Beziehungen zu einem Gauleiter gehabt hätten. Dann hieß es wieder, ein Schweizer Arzt habe die Nazis bestochen, Hermann Hepp nach Zürich zu verlegen. Von da sei er dann geflohen.
»Is awwer alles Spekulatius«, sagt der Schorsch und lässt sich von Rick noch eine Zigarre anschmauchen.
»Aber war dieser Helmut Hepp nicht sogar mit einer Jüdin verlobt?«, fragt Karo.
Die Männer überhören ihre Frage, käsen sich erst mal darüber aus, dass der Hermann Hepp von jeher als »üwerzwersch« gegolten habe.
»Als was?« Rick kennt den rheinhessischen Ausdruck nicht.
»Üwerzwersch, des haast so viel wie dorschgedreht«, erklärt der Willi. Aber »die Famillje«, lästert er weiter, die wäre insgesamt »e bissje komisch«, besonders die Gudrun Hepp, weil sie immer in Wiesbaden einkauft. Und der Neffe, der Valentin, der sei ein ganz »Gemoschderder«.
»Gemustert«, übersetzt Karo. »Heißt quasi das Gleiche wie üwerzwersch.«
»Aha«, sagt Rick.
Alle vier Alten sind sich sicher, dass der Neffe »die Bomb in der Firma gelescht hot«.
»Aber war der Bruder, dieser Helmut Hepp, nicht sogar mit einer Jüdin verlobt?«, wiederholt Rick Karos Frage von vorhin.
Der Walter und der Willi überlegen lange, zucken die Schultern, worauf sie beide der Schluckauf ereilt. Nur der Gernot hebt theatralisch die Hand und entblößt seine gelben Zähne, zum Zeichen, dass er was zu sagen hat. »Naaaa«, belehrt er, »net de Helmut, sonnern de Hermann soll damals mit ’ner Jüdin rumpoussiert hawwe. Un zwar zu Zeite, als des schon strengschdens verbode war.«
Der Walter nickt. So hat er’s auch erzählt bekommen. Aber der Hermann sei sowieso gegen die Nazis und nicht in der Partei gewesen »ganz im Geschedeil zum Rest von de Famillje«.
Und soweit der Gernot weiß, hat die Braut vom Hermann mit zu den versteckten Juden gehört. Was keinen verwundert hat. Bestimmt wär’s ihm gerade darum gegangen, sie vor den Nazis zu verstecken.
»Nach dieser Sache müssten die Hepps total zerstritten gewesen sein«, lenkt Karo ein.
»So isses! Der ganze Ort hot sich gewunnert, dass de Hermann üwerhaupt widder haamkomme is. Nach der Geschischt!«
»Sin halt all a bissje üwerzwersch«, lacht der Schorsch.
Karo und Rick müssen mit darauf anstoßen, dass sie sich nicht anstecken lassen von den »Gemuschderten«, mit denen sie dauernd zu tun haben.
»Keine Gefahr«, versichert Rick »Wir passen aufeinander auf.« Er drückt Karo einen Kuss auf die Lippen, krabbelt mit der Hand unauffällig unter ihren Rock.
Erotische Wallungen kommen Karo ungelegen. Ihr ist furchtbar schlecht. Nichts gegessen, aber zwei Weinschorlen und einen Kräuterlikör gekippt. – Und dann solch kryptische Botschaften.
Sie flieht durch die Tür mit der Aufschrift Toiletten, folgt einem Flur, dessen kalkweiße Wände sich zu drehen scheinen, das bronzene Emblem eines auf dem Töpfchen hockenden Mädchens gerät in ihr Blickfeld. Karo lässt sich auf die Klobrille fallen, lauscht dem schwachen Strom aus ihrem Innern in die Kloschüssel, stützt den Ellbogen aufs Knie und das Kinn auf die Hand, um sich besser konzentrieren zu können: Wenn Hermann Hepp behauptet, sein Bruder sei mit Rosa verlobt gewesen, und wenn sich alle erzählen, Hermann Hepp sei mit einer Jüdin zusammen gewesen, dann … dann ist
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