Neben Der Spur
peinlich, jemand von den Kollegen fände heraus, dass Karo ihr Geld im Wesentlichen als Wühlmaus im Archiv der Firma Hepp verdient. Beziehungsweise als Alten- und Hundesitter. Der Löffler würde sich an die Stirn fassen, andere würden lästern. Vorzeigbar ist Karos ganzes Projekt erst, wenn sie ihn überführt hat, den international gesuchten Naziverbrecher Helmut Hepp. Oder hätte etwa Günter Wallraff damals irgendwem gesteckt, dass er sich bei der BILD-Zeitung verdingt hat, um deren Praktiken zu recherchieren? Unmöglich! Unprofessionell! Also hat Karo nicht mal Rick von ihren Plänen erzählt. Der glaubt, dass sie eine wunderschöne Biografie über den lieben guten Onkel Hepp schreiben will, der Juden versteckt hat und dafür in den Klapsmühlen der Nazis feststeckte.
Das Gespräch mit dem Löffler ist endlich ausgestanden. Karo schlendert durchs Foyer des Verlagsgebäudes, grüßt diesen und jenen, quatscht ein bisschen mit der Kollegin aus der Anzeigenabteilung, flirtet mit dem Portier, wendet sich dem Drehportal nach draußen zu – da hechtet jemand aus dem Aufzug hinter ihr her. Schwarze Hose, weißes Sakko, Eichenmoosodeur: Alex.
»Karo, Karo warte mal, wollt dir sagen, dass es mir leid tut. Hab nicht gewollt, dass sie dich freistellen.«
Zweimal ›wollt‹? Karo drückt ein Grinsen weg. So was passiert doch keinem vielversprechenden Nachwuchsjournalisten!
Er senkt den Blick, schabt mit der Innenkante seiner Budapester über die Fliesen.
Karo glaubt ihm kein Wort. Vielleicht hat er ihretwegen selbst Ärger gekriegt. Und macht jetzt auf kooperativ. »Ist schon in Ordnung«, sagt sie in exakt dem hoheitsvollen Tonfall, den sie dem Senior abgelauscht hat.
»Ich wollte dich was Wichtiges fragen, denn ich hab …«
»Gern ein andermal«, sagt Karo, dreht sich um und rennt davon. »Muss meinen Bus erwischen, sorry!«
»Ruf mich an, okay?«
Karo macht eine Handbewegung, die man ebenso gut als kollegialen Abschiedswink wie als Fick-dich-Signal auffassen könnte, und rennt weiter. Einen Scheiß wird sie tun, den Schleimer anzurufen!
Karos Bus fährt um 11.50 Uhr. In Wahrheit kein Problem, den noch zu kriegen. Der Bus soll sie in die City bringen. Sie braucht dringend neue High-Heels, die aus ihrer aktuellen Naturlookgarderobe einen Hingucker machen. Schließlich kann sie nicht in Gestalt eines Landeis mit Rick auf die Piste. Nach dem Shoppen will Karo in einem der vielen Straßencafés einen Espresso trinken und ausführlich darüber nachdenken, wo und wie sie bei ihren Recherchen zum Thema Helmut Hepp übers Wochenende weitermachen kann.
An der Bushaltestelle wartet ein schmusendes Pärchen, beide jünger als Karo. Das Mädel ist schwanger, trägt den prallen Bauch unter einem engen T-Shirt. Der Bauchnabel glotzt wie ein überdimensionales Hühnerauge heraus. Sie lacht laut unter dem Schwall von Küssen ihres Liebhabers, schnickt ihre lange Mähne und bewirft Karo mit provozierenden Blicken. Als wollte sie sagen: Schau her, ich habe eine feste Beziehung zu einem Mann, der mich liebt. Ich bekomme ein Kind von ihm. Ich bin glücklich. Du nicht.
Dumme Kuh, denkt Karo und guckt weg. Heiraten, Kinder kriegen heißt Ende Gelände, die große Karriere auf unbestimmte Zeit vertagt. Stattdessen ein Frondasein wie in Bananenrepubliken.
Und als hätte Karo sie herbestellt, eilt just eine Mutter mit plärrendem Baby im Buggy über den Zebrastreifen. Ihre um die Schulter gebundene Einkaufstasche klatscht mit jedem Schritt gegen ihre Beine. Die Frau will offenbar den Bus erreichen, der gerade heranfährt. Ihr Kind strampelt und kreischt, dass der Buggy schlingert.
Die Schwangere lacht nicht mehr, guckt angestrengt in eine andere Richtung.
Der Bus hält, Karo stellt sich aufs Trittbrett, verharrt vor der Lichtschranke, bis die geplagte Mutter samt Kind, Buggy und Einkaufstasche die Fahrkarte gelöst hat, hilft ihr einzusteigen und das Baby festzuhalten, das sich aus seinem Gurt herauswinden will.
»Danke! Danke vielmals«, sagt die Mutter, nimmt Karo gegenüber Platz, das Baby auf ihrem Schoß. Sie riecht nach Schweiß, hat dunkle Schatten unter den Augen, die Haare schreien nach einem Friseurtermin.
»Keine Ursache«, sagt Karo.
Das Baby ist still, zwei Tränen kleben an seinen Pausbacken.
»Hoppe, hoppe, Reiter«, trällert die Mutter und wippt mit den Beinen.
Das Baby lacht. Lacht Karo an. Blaue Augen hat es und eine winzige Himmelfahrtsnase.
»Na, du Süßes«, sagt Karo und kitzelt das Baby am
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