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Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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sie auch, glaube ich … Muss jetzt auflegen …
     
    Kein Zweifel, das ist Valentins Stimme, obwohl sie so verwaschen klingt, als habe er mindestens eine halbe Flasche Hochprozentiges genossen. Und das Greinen und Wimmern – klingt ganz, als sei er durchgedreht.
    »Und? Haben Sie zurückgerufen?«, fragt er.
    »Da gab’s keine Nummer. Unbekannt stand auf dem Display.«
    »Also kam der Anruf von einem analogen Gerät.«
    »Oder jemand hat die Nummer unterdrückt.«
    »Haben Sie Frau Hepp verständigt?«
    »Nein.«
    »Oder die Polizei angerufen?«
    »Nein.«
    Hans-Bernward fällt ein Stein vom Herzen. Doch auch das soll die Kollegin ihm nicht anmerken. ›Ach, und warum nicht?‹, will er fragen, dazu den typischen Tonfall eines Chefs anschlagen, der in vordergründiger Freundlichkeit den Vorwurf der Unfähigkeit kaschieren soll: ›Warum haben Sie dieses getan? Warum haben Sie jenes unterlassen?‹ Die Art zu fragen, wäre jetzt passend für einen Vorgesetzten. Aber er hat das Aufblitzen ihrer Augen unter den zusammengezogenen Brauen registriert. Und zieht es vor zu schweigen. Sie mag eine impertinente kleine Schnepfe sein, die Rosenkranz, aber dumm ist sie nicht. Er wendet sich zum Fenster. Draußen hängt ein feiner Nebel über dem wuchernden Naturschutzgrün.
    »Die Nachricht ist vom Freitag, also schon drei Tage alt«, erklärt sie. »Da hab ich beschlossen, noch ein bis zwei Stunden auf Sie zu warten. Zumal erkennbar Sie persönlich gemeint sind. Nicht die Firma. Nicht Frau Hepp. Das hat mich stutzig gemacht. Und dann ist da dieser Satz, dieser komische Satz ganz am Ende.«
    Hans-Bernward massiert seine Pausbacke, die sich von der Spritze her noch immer pelzig anfühlt. Weshalb Valentin nicht Gudruns, sondern seinen Apparat angewählt hat, ist ihm völlig klar. Der arme Kerl verwechselt von jeher Gudruns mangelnde emotionale Zuwendung mit einer Ablehnung seiner Person, mit einem Verrat an ihren verwandtschaftlichen Beziehungen sogar. Zu erwarten wäre aber, dass Valentin sich vorzugsweise bei Rolf meldet, zu dem er, weshalb auch immer, im letzten Jahr die größte Affinität entwickelt hat. Erst recht, wenn er in Not ist. Beziehungsweise, sich in Not wähnt. Weshalb der Junge nicht Rolf angerufen hat? Ihm aufs Band gesprochen hat? Das könnte in der Tat mit diesem mysteriösen letzten Satz zusammenhängen: ›Rolf haben sie auch, glaube ich.‹
    »Wie kommt Valentin Hepp auf die Idee, dass ›sie‹ – wer immer das sein soll – auch Westenberger ›haben‹ könnten?« sinniert die Rosenkranz und sieht Hans-Bernward in die Augen. »Der ist eben erst quietschfidel zu Frau Hepp ins Wohnhaus rüber.«
    »Ach ja? Quietschfidel?« Hans-Bernward verzichtet auf die Bemerkung, dass es Herr Westenberger heißen sollte. Und dass das Adjektiv quietschfidel nicht einen Geschäftsführer umschreiben kann, der die Firmeninhaberin kontaktiert. Stattdessen lässt er sich in seinen Schreibtischstuhl fallen und ringt mit seiner Eifersucht. Das Taubheitsgefühl in seiner Backe hat schlagartig nachgelassen, das eingesetzte Provisorium sticht ihm in den Kiefer. Zu allem Überfluss meldet sich sein Tinnitus.
    »Hmmm«, brummt er, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Denn tatsächlich ist es diese letzte, diese leise herausgedruckste Sequenz ›Rolf haben sie auch, glaube ich …‹, die wegen ihrer Unsinnigkeit klar macht: Dieser Anruf kann keine Finte sein. Noch beim Abhören der ersten Sätze hätte man mutmaßen können, Valentin spiele das Entführungsopfer, um von seiner Schuld abzulenken. Um Mitleid zu erheischen. Oder womöglich, um mit diesem Theater eine Lösegeldforderung seiner Freunde vorbereiten zu helfen. Durch den abwegigen Nachsatz wird sein Geheul plötzlich – tja, glaubwürdig wird es!
    »Wenn Valentin Hepp annimmt, Rolf Westenberger könne entführt worden sein, dann muss er unterdessen mit ihm Kontakt gehabt haben«, überlegt die Rosenkranz, »also nach dem Anschlag.«
    Hans-Bernward gibt dem Druck im Oberkiefer nach, nickt mechanisch, um abrupt innezuhalten und den Kopf zu schütteln. Sie hat zwar recht, aber das muss sie nicht wissen. Er sollte sie ablenken, beschwichtigen, irgendwie. Er greift nach dem Postberg auf seinem Schreibtisch, beginnt, das Papier von links nach rechts zu sortieren. »Sie kennen Valentin Hepp nicht«, sagt er. »Mein Neffe ist, wie soll ich sagen, ausgesprochen fantasiebegabt. Und zeigt manchmal ein für Erwachsene nicht nachvollziehbares Verhalten. Spätpubertät, verstehen

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