Neben Der Spur
bildet bauchige Cluster aus Tierschutz, Suppe und Nazis, malt Kreise und Strukturbäumchen mit Verbindungsschlaufen in roter, grüner und blauer Farbe auf immer mehr Recyclingpapier, alles, damit ihre rechte und ihre linke Hirnhälfte ordentlich kooperieren. Das Ergebnis bleibt verworren, lässt, wenn überhaupt irgendwas, die Tapetenmuster der Achtzigerjahre assoziieren.
Also versucht es Karo mit schlichter linearer Logik und der guten alten Wer-was-wann-wo-wie-warum-Methode. Und stellt fest, dass sie zu Punkt eins immerhin schon eine Menge weiß. Zumal seit gestern Abend, denn sie hat die Antwort eines ehemaligen Mitarbeiters des Simon-Wiesenthal-Centers bekommen, der viele Jahren nach überlebenden Naziverbrechern in aller Welt gefahndet hat. Er schreibt:
Ihre Vermutung, dass Helmut Hepp, geboren im Mai 1915, Leutnant bei der Wehrmacht und Träger des Bandenkampfabzeichens in Bronze, nach dem Krieg die Identität seines im Rahmen des Euthanasieprogramms ermordeten Bruders Hermann angenommen hat, ist keineswegs absurd. In den Fünfzigerjahren muss schon einmal der Verdacht aufgekommen sein, als der angeblich auf der Krim vermisste Helmut Hepp auch bei den letzten Heimkehrern aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft fehlte.
Amerikanische Behörden und die Presse waren gleichermaßen an dem Fall dran. Als erster Hinweis diente, dass sich die Brüder, laut Zeugenaussagen, von jeher sehr ähnlich gesehen haben. Allerdings blieben nicht nur die Familie, sondern auch viele Freunde sowie der Hausarzt bei der Behauptung, dass es Hermann Hepp sei, der im Sommer 1946 wundersamerweise zurückgekehrt war. Auch fehlte es an brauchbarem Foto- und Handschriftenmaterial, das weitere Indizien hätten liefern können. Angeblich war alles beim Brand einer Laube, ausgelöst durch eine defekte Lampe, zerstört worden. Als Luise Hepp im April 1956 ihren Sohn Helmut für tot erklären ließ, wurde die Suche eingestellt.
Keine brauchbaren Fotos? Stimmt, die die Karo gefunden hat, sind zu grob gepixelt, als dass eine Vergrößerung viel hergäbe. Und keine Dokumente, die ein grafologisches Gutachten ermöglicht hätten? Tja, vermutlich hatte Hermann Hepp seine Originalrezepte handschriftlich festgehalten. Man hat sie ganz bewusst verbrannt.
Karo streicht in Gedanken Punkt drei von ihrer Liste. Die Rezepte sind wohl perdu. Allerdings ist Karo damit bei Punkt eins noch keinen Schritt weiter. Soll sie mit dem Naziforscher kooperieren? Er bietet es an:
Wenn Sie auf Fakten gestoßen sind, die eine falsche Identität Hermann Hepps belegen, bin ich sehr dankbar für einen Hinweis … und wäre im Gegenzug bereit, Ihnen Daten und Hintergründe zu anderen ähnlichen Fällen zur Verfügung zu stellen …
Soll sie, soll sie nicht? Karo nimmt einen Schluck kühle Cola light aus der Thermoskanne und zieht ihren Miniventilator aus der Tasche. Ein ökosündiges und in diesem Haus garantiert nicht gern gesehenes Elektrogerät, aber die Tür ist zu. Und Frau Fried nachhaltig vertrieben.
Karo schaltet es ein, quirlt sich Luft zu. Was sie bislang einzubringen hat, ist nicht gerade atemberaubend. Dass der Senior sich nicht an seine eigenen Rezepte erinnert, dass er Kriegstraumata mit sich herumschleppt, obwohl er angeblich den Zweiten Weltkrieg über in Irrenanstalten einsaß, dass er in einer Stresssituation Rosa als Verlobte seines Bruders ausgibt – das sind alles schwache Hinweise, keine Indizien. So viel weiß Karo als regelmäßige Konsumentin von Tatort- und Polizeiruf-110- Krimis.
Andererseits: So dicht, wie sie am Senior dran ist, kann es nur eine Frage der Zeit sein, bis sie mehr herausbekommt. Und was soll sie mit Daten und Hintergründen ähnlich gelagerter Fälle anfangen? Nein, sie wird das Ding allein weiterverfolgen.
Der Taschenventilator erfrischt ein wenig an Gesicht und Hals, aber die Beine sind bleischwer von der Hitze. Karo geht in ihrem Zimmer auf und ab, geht in de Beers leeres Büro hinüber. Nordseite, kein laufender Rechner, bedeutend angenehmer. Karo umkreist de Beers Schreibtisch, betrachtet das Stillleben aus Stapeln von Aktendeckeln, Recyclingpapier und Notizblöcken, den ungeleerten Papierkorb …
Ungeleert? Um die Papierkörbe kümmert sich doch abends die Putzkolonne. De Beer muss nach Dienstschluss noch mal hier gewesen sein. Karo schaltet den Ventilator aus, bückt sich, fischt die zerknüllten Papierbögen aus dem Behältnis, unschönes Ergebnis eines Papierstaus offenbar, von Druckerschwärze
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