Nebenan: Roman
Fenster zu gehen und dir das Plakat auf der anderen Straßenseite anzuschauen …«
Auf dem Plakat war ein dunkelhaariger Schönling zu sehen, der es offenbar für vorteilhaft hielt, der ganzen Welt zu zeigen, was für ein Pferdegebiss er hatte. Unter dem Bild stand in fetten Lettern : Heute Nacht in der Kölnarena! Philipp Pirrip, der größte Illusionist des Universums, präsentiert seine neue Show VERSCHWINDIBUS . Hinter dem vermeintlichen Zauberer sah man noch einige hübsche Assistentinnen, die offensichtlich einen größeren Teil ihrer Bekleidung bei den Proben ihres Meisters eingebüßt hatten. Wehmütig dachte Cagliostro an seine Auftritte in Paris. An hübschen Gehilfinnen hatte es ihm damals auch nie gemangelt.
»Was hältst du davon?«
Cagliostro zuckte unschlüssig mit den Schultern. »Offen gestanden, ich würde mir diesen Philipp Pirrip gerne mal ansehen. Er scheint im selben Geschäft tätig zu sein wie ich einst, obwohl das Plakat einen höchst unseriösen Eindruck macht.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er wirklich über Zauberkräfte verfügt. Ich meine, wer nur ein wenig sensitiv begabt ist, spürt doch, dass alles hier so voller zauberischer Energie steckt, als wüssten die Menschen schon seit Jahrhunderten nichts mehr mit den magischen Kräften der Natur anzufangen. Alle reden hier ständig von der Suche nach neuen Energiequellen …« Der Erlkönig klopfte mit dem Fingerknöchel auf das Lexikon in seiner Hand. »Doch die größte aller Kraftquellen scheint heutzutage niemand mehr zu kennen.«
Der Graf drehte sich um und nickte beiläufig. »Du sagst es.« Gleichzeitig bemühte er sich erfolglos etwas von diesen Kräften zu spüren. Ob der Erlkönig ihn vielleicht auf die Probe stellte? Cagliostro hatte sich noch nie Gedanken über die Ballung magischer Kräfte gemacht. Seine Zaubervorführungen waren auch ohne solchen Schnickschnack große Erfolge gewesen! Jedenfalls meistens … Überhaupt bestand das Schlüsselgeheimnis der Magie seiner Meinung nach darin, niemals lange genug an einem Ort zu bleiben, um mit der etwaigen Unwirksamkeit irgendwelcher Tinkturen und Zaubersprüche konfrontiert zu werden.
»Wie allgemein bekannt ist, haben die Zwergenvölker ebenfalls ein sehr angespanntes Verhältnis zur Magie, weshalb fast alle männlichen Vertreter dieser Rassen Nebenan verlassen haben. Auf der einen Seite sind einzelne besonders begabte Zwerge oder Heinzelmänner zwar durchaus befähigt zu zaubern, andererseits setzen sie diese Fähigkeiten so gut wie nie ein, außer vielleicht um einen Zauberring und solchen Schnickschnack wie sich selbst zuknotende Schnürsenkel zu erschaffen oder sich gegen ihre Frauen zur Wehr zu setzen. Das heißt, wenn dieser Pirrip ein Betrüger ist und es sonst keine weiteren ernst zu nehmenden Zauberer gibt, dann steht uns das magische Potenzial einer ganzen Welt zur Verfügung! Hast du eine Vorstellung, was das bedeutet?«
»Dass wir nur mit den Fingern schnippen müssen, um uns ein Frühstück in dreiunddreißig Gängen in die Küche zu zaubern?«
Der Erlkönig antwortete mit einem Blick, der in Worte gefasst in seiner abfälligen Vieldeutigkeit wohl ein halbes Buch gefüllt hätte. »Wie schön, einen so praxisbezogenen Geist um sich zu wissen.«
Cagliostro sah wieder aus dem Fenster. Schade, dass man in seiner Zeit nicht solche Plakate machen konnte. Er versuchte sich vorzustellen, auf welch wundersame Weise man so lebensechte Kupferstiche herstellte, und fragte sich zuletzt, ob die Menschen nicht vielleicht doch einige Spielarten der Magie beherrschten.
»Ich denke, es wäre klug, einen Späher auszuschicken, der sich draußen ein bisschen umsieht«, unterbrach der Erlkönig Cagliostros Tagträume.
»Du möchtest dir die Füße vertreten?«
Der Erlkönig machte eine Handbewegung, als wolle er auf Baldur zeigen, ließ die Hand aber sofort wieder sinken, als der Werwolf zu knurren begann. »Ich hatte eigentlich an deinen haarigen Begleiter gedacht. Er ist der Unauffälligste von uns. Jedenfalls wenn es dir gelingt, ihm klar zu machen, dass er nicht auf der nächsten Wiese Kaninchen jagen sollte.«
»Und warum sollte Baldur sich nicht ein bisschen Spaß gönnen, wenn er schon unseren Laufburschen spielen muss? Er ist für die Menschen ohnehin unsichtbar.«
»Weil er für Kaninchen sichtbar ist und sie einen herumstreunenden Werwolf mit Sicherheit den nächsten Heinzelmännchen melden werden. Sollte er es hingegen schaffen, sich halbwegs wie ein
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