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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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    Cagliostro räkelte sich zufrieden und betrachtete eine Weile seine Zehenspitzen, die unter der schneeweißen Bettdecke hervorlugten. Seine Rückkehr in die Welt der Menschen war vielleicht nicht triumphal, auf jeden Fall aber sehr angenehm gewesen. Er schwang sich aus dem Bett und ging geradewegs zu dem großen Kleiderschrank, der fast eine ganze Wand einnahm. Zwei Türen waren verspiegelt. Anerkennend pfiff der Graf durch die Zähne und blickte zurück zu Mariana. Wahrscheinlich war sie die Mätresse eines Fürsten. Solche Spiegel hatten zu seiner Zeit ein Vermögen gekostet und es hatte auch nur wenige junge Frauen gegeben, die auf eigene Kosten eine so große Stadtwohnung unterhalten konnten wie diese Druidin. Nur für Personal schienen ihre Einkünfte nicht mehr zu reichen. Nun, an einem ordentlichen Domestiken sollte es ihr in nächster Zeit nicht fehlen. Baldur war immer dankbar, wenn er jemandem einen Gefallen tun konnte. Wenn man ihm nur gelegentlich einen schönen Knochen mit etwas altem Fleisch dran oder ein blutiges Stück Leber überließ, dann war er mit sich und der Welt vollauf zufrieden.
    Cagliostro öffnete den Schrank und sah sich in aller Ruhe die Kleider an. Die Frauen dieser Zeit hatten einen ungewöhnlichen Farbgeschmack. Er dachte an seinen letzten Besuch in Paris. Nicht dass die Bälle am Hof des Königs eine farblose Angelegenheit gewesen wären … Besonders gerne erinnerte er sich an die leider viel zu kurzlebige Mode, das Dekolletee der Abendkleider so zu schneiden, dass die rot geschminkten Brustwarzen der Hofdamen gut zu sehen gewesen waren. Er seufzte. Wäre nicht die Halsbandaffäre gewesen, er hätte Paris sicher niemals verlassen!
    Der Graf nahm eines der Kleider aus dem Schrank und hielt es sich an den Leib, um sich ein besseres Bild machen zu können. Die Dekolletees heutzutage schienen fast so aufregend zu sein wie vor zweihundert Jahren. Wirkliche Fortschritte hatte man bei der Länge der Kleider gemacht. Heutzutage konnte man wenigstens beizeiten sehen, ob ein Weib Beine wie eine Fischmarktfrau oder wie eine grazile Elfe hatte. Er hasste dicke Beine! Cagliostro sah zu Mariana hinüber. Was das anging, war an ihr nichts auszusetzen. Er hatte es gut mit dem ersten Weibsbild getroffen, das ihm in dieser neuen, aufregenden Zeit über den Weg gelaufen war. Natürlich war sie seinem überlegenen Intellekt nicht gewachsen, aber wer war das schon? Und was das Übrige anging … Er lächelte versonnen. Manche Dinge änderten sich wohl nie! Schade, dass sie sich gestern Nacht zuletzt so erschreckt hatte. Längst war ihre Ohnmacht tiefem Schlummer gewichen. Manchmal zuckte sie unruhig, so als quäle sie ein unangenehmer Traum.
    Einen Moment lang überlegte der Graf, ob er sie wecken sollte, doch dann entschied er sich, dass ihre Träume wahrscheinlich angenehm im Vergleich zu ihrem Erwachen waren. Schon gestern Nacht, nach ihrem ersten Liebesgeplänkel, hatte sie ihn nur noch verschwommen gesehen und dann war er, während sie noch ein wenig plauderten, plötzlich gänzlich unsichtbar für sie geworden. Woran auch immer sie sich berauscht haben mochte, es hatte aufgehört zu wirken und damit hatte sie wie alle normalen Sterblichen die Fähigkeit verloren, Geschöpfe aus der Anderswelt zu sehen. Ihre Reaktion auf seine Unsichtbarkeit war leider ausgesprochen konventionell gewesen: Sie war in Ohnmacht gefallen.
    Cagliostro wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Kleiderschrank zu. Bei der Auswahl, die es für Frauen gab, fragte er sich, wie prunkvoll wohl erst die Garderobe für Männer sein mochte. Er hielt in seiner Suche inne und zog einen prächtigen, seidenen Morgenmantel zwischen den Kleidern hervor. Das war doch was! Prüfend rieb er den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger, gab einen zufriedenen Grunzer von sich und zog den Morgenmantel an. Der wunderbar leichte Stoff fühlte sich wie eine kühle Morgenbrise auf der Haut an. In bester Stimmung verließ der Graf das Schlafzimmer und stolperte fast über Baldur, der sich vor der Tür zusammengerollt hatte. Der Werwolf hatte wieder seine menschliche Gestalt angenommen, was ihn im Augenblick aber nicht davon abhielt, Cagliostro die Füße zu lecken.
    »Ist gut, sitz, mein Braver!« Baldur war vermutlich schon in seinem früheren Leben nicht der Hellste gewesen, doch die Wechsel zwischen zwei Gestalten brachten ihn völlig aus dem Gleichgewicht. Der Werwolf war ein überaus gut aussehender junger Mann. Er hatte die Figur

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