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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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eines griechischen Athleten und es gab kaum ein weibliches Wesen, das ihm nicht interessiert nachblickte, obwohl er ein bisschen stark behaart war. Dafür waren Baldurs geistige Gaben umso bescheidener ausgefallen und seine Interpretation von korrektem Werwolfverhalten wies ausgesprochen hündische Züge auf. Er war dem Grafen, kurz nachdem es ihn in die Anderswelt verschlagen hatte, zugelaufen. Cagliostro war sich bis auf den heutigen Tag nicht im Klaren darüber, ob die unterwürfige Zuneigung, die der Werwolf von ihrer ersten Begegnung an für ihn empfunden hatte, auf seine besondere Ausstrahlung als in die ägyptischen Mysterien eingeweihter Großkoptha zurückging oder lediglich auf den Geruch seiner Füße.
    »Komm, mein Junge, wir werden sehen, wo wir hier was zu essen auftreiben.«
    Baldur hechelte zustimmend und sie beide stiegen die enge Holztreppe hinab, die in ein großes, lichtdurchflutetes Zimmer führte. Staunend bemerkte Cagliostro eine Bücherwand, die man schon fast eine kleine Bibliothek nennen konnte. Sollte er Mariana doch falsch eingeschätzt haben?
    Vor dem Regal stand der Erlkönig und blätterte mit sauertöpfischer Miene in einem schweren Lexikon. Er sah kurz auf und ein abfälliges Lächeln spielte um seine dünnen Lippen. »Du heulst lauter als dein Schoßhund, wenn dich eine Dame beglückt, alter Mann. Erinnerst du dich noch, warum wir hier sind, oder ist dir dein Hirn endgültig in die Lenden gerutscht?«
    »Danke für die herzliche Anteilnahme und mein Beileid dafür, dass du offenbar schon vor Jahrhunderten ausgetrocknet bist.«
    »Es besteht in der Tat kein Zweifel daran, dass du im Vergleich zu mir noch feucht hinter den Ohren bist«, erwiderte der Erlkönig kühl. »Anders kann ich mir auch nicht erklären, dass es dir noch nicht aufgefallen ist.«
    »Wovon redest du?«
    »Von der Magie.«
    Cagliostro starrte den Alben finster an und machte zugleich eine beschwichtigende Bewegung in Baldurs Richtung, der angefangen hatte leise zu knurren. »Was ist mit der Magie?«
    »Spürst du nicht die Spannung in der Luft? Es ist fast wie bei einem Gewitter.«
    Der Graf versuchte sich zu sammeln, aber alles, was er spürte, war eine kaum zu zügelnde Lust, dem arroganten Alben den Hals umzudrehen und anschließend ein üppiges Frühstück einzunehmen. Cagliostro hätte natürlich niemals zugegeben, dass er etwas nicht bemerkte, was dieser Streber für offensichtlich hielt. Also nickte er bedächtig. »In der Tat, die Akkumulation magischer Energien erscheint beträchtlich. Glaubst du, dass die Druidin vielleicht wirklich über Zauberkraft verfügt?«
    Der Erlkönig blickte so herablassend, wie es selbst Alben erst nach Jahrhunderten harten Trainings vermögen, und klopfte dabei sachte mit dem Fingerknöchel auf das Buch in seiner Hand. »Leider bin ich in diesem vierundzwanzigbändigen Konversationslexikon erst bei Band neun angelangt oder genauer gesagt beim Stichwort Gynandrie. Ich bin mir also über die Zusammenhänge dieser Welt noch nicht ganz im Klaren. Doch es scheint, als habe sich hier erheblich mehr verändert, als gut ist.«
    »Ah … Gynandrie. Natürlich … Und du willst mir sagen, dass du in der letzten Nacht, während ich mich … um ein gutes Verhältnis zu unserer Gastgeberin bemühte, neun Lexikonbände gelesen hast?«
    »Gelesen wäre der falsche Ausdruck«, erwiderte der Erlkönig herablassend. »Ich verfüge über eine Eigenart, die unter dem Schlagwort fotografisches Gedächtnis näher erläutert ist. Einfach ausgedrückt: Ich sehe mir eine Buchseite einen Augenblick lang an und kann mir merken, was darauf steht. Obwohl meine Studien noch lange nicht abgeschlossen sind, scheint es doch so, dass, einmal abgesehen von ein paar unbegabten Okkultisten, die große Mehrheit der Menschen den Glauben an magische Kräfte und Zauberei verloren hat. Paradoxerweise scheint Aberglaube nach wie vor ein weit verbreitetes Phänomen zu sein. Die Sterblichen verhalten sich im höchsten Grade unlogisch. Und da ist noch etwas …«
    Cagliostro hob auf provozierende Weise eine einzelne Augenbraue – eine Geste, die er bei Maximilien Robespierre, einem unbedeutenden Advokaten aus Arras, abgeschaut hatte, nachdem er gezwungen worden war Paris zu verlassen. »Was?«
    Zufrieden registrierte der Graf, dass die überhebliche Selbstsicherheit des Erlkönigs einen Augenblick lang aus dem Gleichgewicht kam und eine Spur weniger Arroganz in seiner Stimme schwang. »Wenn du die Güte hättest, zum

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