Nebenan: Roman
Oder komme ich einem Geheimnis auf die Spur …einer Intrige, so unglaublich, dass du vor Angst, entlarvt zu werden, kaum noch zu sprechen vermagst!«
»Ich weiß nicht, wovon du redest, und im Übrigen …«
»Würdest du die Güte haben, meine Frage zu beantworten? Was ist ein Wahrscheinlichkeitskalkulator?«
Wallerich konnte sich nicht mehr länger beherrschen. Er begann sich mit beiden Händen am Rücken zu kratzen und wäre am liebsten im Boden versunken. »Das ist ein Computer … ein ganz besonderer …« Der Juckreiz ließ einen Augenblick lang nach und er seufzte erleichtert. »Er dient dazu, die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse zu berechnen.«
»Man könnte ihn also eine Art Wahrsagemaschine nennen?«, hakte Laller nach.
»Nein!« Wallerich begann sich am Hals zu kratzen. »Das ist höhere Mathematik und hat nichts mit Kristallkugeln und anderem Hokuspokus gemein!«
»Dein naturwissenschaftliches Gefasel tut hier nichts zur Sache! Ich will einfach nur eine klare Antwort! Ist diese Maschine in der Lage, zutreffende Aussagen über zukünftige Ereignisse zu machen oder nicht?«
Wallerich hätte sich am liebsten die Kleider vom Leib gerissen. Inzwischen war er sich sicher, dass die Kobolde in der ersten Reihe ihm Juckpulver auf die Jacke gestreut haben mussten, als er an ihnen vorbei zum Zeugenstand gegangen war. Sie hatten ihre runzeligen Hände hinter den Köpfen verschränkt und sahen zufrieden feixend zu ihm hinauf.
»Wallerich vom Clan der Käsebohrer! Hast du meine Frage verstanden?«, wiederholte Laller.
»Ja …« Der verzweifelte Heinzelmann öffnete sein Hemd, um sich besser kratzen zu können. »Der Wahrscheinlichkeitskalkulator ist in der Lage, zukünftige Ereignisse vorauszuberechnen.«
Laller drehte sich triumphierend wieder zu den Zuschauern um. »Der Zeuge hat uns soeben den Grund genannt, warum ich Nöhrgel des Hochverrats anklage! Ich weiß nicht, ob sich jeder von euch der ganzen Tragweite von Wallerichs Aussage bewusst ist? Unser Ältester arbeitet täglich mit einer Maschine, die in der Lage ist, die Zukunft vorherzusehen. Zweifellos wusste er durch seinen Computer, dass es einigen der Dunklen gelungen war, hierher zu kommen. Warum aber wurden sie nicht sofort gestellt? Und warum war man nicht auf magischen Widerstand gefasst? Diese Daten müssen doch vorgelegen haben, wenn man über eine Maschine verfügt, die in die Zukunft sieht. Für mich gibt es für diese scheinbaren Widersprüche eine ebenso einfache wie erschreckende Erklärung: Nöhrgel hat die Seiten gewechselt!« Laller machte eine Pause und genoss das lautstarke Murmeln, das nun von den Rängen der Zuschauer ertönte.
»Warum sollte Nöhrgel das getan haben?«, rief jemand aus der Menge. »Wir wollen Beweise!«
Der Chefankläger breitete die Arme aus und bat mehrfach um Ruhe. Doch ganz wollte das Gemurmel nicht mehr verstummen. Wallerich nutzte die Gelegenheit, nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, um sich ausgiebig an pikanter Stelle zu kratzen.
»Der Überfall auf dem Albertus-Magnus-Platz!«, dröhnte die Stimme des Chefanklägers. »Nach meinen Recherchen befanden sich im gestohlenen Koffer nicht allein jene Unterlagen, die notwendig waren, um für die Sitzung des Rates gewappnet zu sein. Er enthielt auch eine Liste all unserer Spitzel Nebenan , mit Vermerken zu den Freigangsstunden für Ausflüge in die Menschenwelt, die sie sich durch ihre Arbeit verdient haben. Des Weiteren enthielt der Koffer Informationen über das Elfenbein und seinen Aufbewahrungsort.« Laller machte erneut eine kurze Pause, um zu sehen, wie sehr die Unruhe unter den Zuschauern wuchs. »Eines spricht jedoch mehr als alles andere dafür, dass der Werwolf keinesfalls zufällig auf dem Albertus-Magnus-Platz war. In dem Koffer waren zwei Ringe! Und zwei Dunkle sind von Nebenan gekommen! Für mich sieht das mehr nach einer gut abgesprochenen Übergabe als nach einem tragischen Missgeschick aus. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass Nöhrgel über eine Maschine verfügt, die es ihm erlaubt, in die Zukunft zu sehen. Hast du etwas dazu zu sagen, Ältester?«
Im Ratssaal war es so ruhig geworden, dass man eine Bowlingkugel hätte fallen hören können. Das leise Knistern von Chipstüten unterstrich die gespannte Stille eher, als dass es störte. Sogar Wallerich hörte auf sich zu kratzen und blickte besorgt zum Ältesten hinüber.
Nöhrgel blieb gelassen und antwortete mit ruhiger, fester Stimme: »Ich war mir der
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