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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Gefahr bewusst, dass sich ein Werwolf in der Stadt aufhielt.«
    »Und warum musstest du dann ausgerechnet an diesem Tag mit dem kostbaren Koffer mitten über den Platz spazieren, statt einen der Tunnel zu benutzen?«
    »Weil es ein wunderschöner Herbsttag war. Welchen besseren Grund könnte es für einen Spaziergang geben?«
    Laller schnitt eine Grimasse. Im Saal hinter ihm war leises Kichern zu hören. »Und du willst uns allen Ernstes sagen, dass du mit einer Papprolle einen Werwolf in die Flucht geschlagen hast? Das glaubt doch nicht einmal ein Mensch!«
    Nöhrgel hakte die Daumen in der Weste seines eleganten Anzugs ein und richtete sich langsam auf. »In der Tat, ich glaube auch nicht, dass es die Papprolle war, die den Werwolf Reißaus nehmen ließ. Ich gestehe, ich verfüge über eine dir unbekannte Geheimwaffe, Freund Laller. Es ist Autorität!«
    Der Saal erbebte vor Gelächter. Laller machte ein Gesicht, als habe er sich in den Bart gepinkelt – eine Gefahr, die bei der vorherrschenden Bartmode unter Heinzelmännern tatsächlich bestand. Die Mitglieder des Rates versuchten minutenlang vergeblich den Saal wieder zur Ruhe zu rufen.
    Wallerich bemerkte, wie es in den hinteren Reihen zu einem regelrechten Tumult kam. Offenbar hatten es die Hinterwäldler irgendwie geschafft, die Taube auf dem Bratspieß in den Ratssaal zu schmuggeln, und machten sich nur daran, ein Grillfeuer anzuzünden.
    Endlich erhob sich Mazzi, der Vorsitzende des Rates, und versuchte mit einem energischen Rülpser die johlenden Heinzelmänner wieder zur Ruhe zu bringen. Er war ein beleibter Mittdreihunderter, der in der Adenauerära aus Rostock zugewandert war und mit seinem Talent, durch Rülpser Kristallgläser zerspringen zu lassen, weit über die Stadtgrenzen hinaus Anerkennung unter den Zwergenvölkern gefunden hatte. Als der Lärm im Saal ein wenig abebbte, wandte sich Mazzi zum Zeugenstand. »Wallerich, würdest du bitte deine Hand aus der Hose nehmen und aufhören im Zeugenstand solche Verrenkungen zu machen! Du untergräbst damit die Würde des Gerichts! Laller, gibt es noch Fragen, die du an den Zeugen richten möchtest?«
    Der Chefankläger schüttelte mürrisch den Kopf. »Wallerich vom Clan der Käsebohrer, du bist aus dem Zeugenstand entlassen.«
    Der Heinzelmann ging dicht an Laller vorbei und flüsterte: »Den Streich mit dem Juckpulver wirst du mir noch büßen, du …«
    Der Vorsitzende des Rates machte eine versöhnliche Geste in Nöhrgels Richtung. »Die Verhandlung ist hiermit geschlossen. Nur eine Frage noch. Warum zum Teufel hast du den ganzen Kram in den Koffer gepackt? Wir hätten die Papiere doch gar nicht gebraucht.«
    »Natürlich nicht. Aber ich dachte, die Dunklen könnten etwas damit anfangen«, entgegnete Nöhrgel in einem Tonfall, als würde er über ein neues Zwiebelkuchenrezept plaudern.
    Der Vorsitzende des Rates nahm die Zipfelmütze ab und wischte sich über die Stirn, von der plötzlich erbsengroße Schweißtropfen perlten. »Ich glaube, ich habe dich gerade nicht ganz richtig verstanden, Ältester.«
    »Ich war mir der Gefahr bewusst, einen Werwolf zu treffen, und habe in dem Koffer die Akten zusammengestellt, von denen ich dachte, dass die Dunklen sie am besten gebrauchen könnten. Wir sind eine Gesellschaft, die seit fast hundert Jahren in selbstgefälliger Arroganz verweilt. Es war höchste Zeit, dass ein bisschen frischer Wind durch diese Stadt weht und die Jüngeren von uns sich mit einer echten Herausforderung konfrontiert sehen.«
    Laller stand vor Nöhrgel und klappte den Mund auf und zu, unfähig einen artikulierten Laut hervorzubringen.
    Es war der Ratsvorsitzende, der als Erster seine Fassung zurückgewann. »Nöhrgel vom Clan der Kesselflicker, du hast Zeugnis abgelegt und dich selbst des Hochverrats für schuldig bekannt. Dafür verurteile ich dich zur schwersten Strafe, die unser Volk kennt. Du wirst verstoßen und bist von nun an ein Sippenloser. Dir bleiben vierundzwanzig Stunden, um letzte persönliche Angelegenheiten zu regeln und das Gelände der Universität zu verlassen. Ich bin erschüttert vom Ausmaß deiner Unverfrorenheit, und allein die Tatsache, dass du dich früher um unser Volk sehr verdient gemacht hast, erspart dir die Schande der öffentlichen Rasur!«
    *
    Ungläubig strich Mariana über die stockfleckige Tapete mit Blümchenmuster. Es gab sie wirklich! Bisher hatte sie solche Geschmacklosigkeiten für seltsame Auswüchse in deutschen Heimatfilmen aus den Fünfzigern

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