Nebenan: Roman
auf einem hohen Lehnstuhl und blickte mit herausfordernder Gelassenheit auf das Publikum. Im Gegensatz zu den Ratsmitgliedern, die allesamt in die alte Tracht gekleidet waren und aussahen, als seien sie einem Märchenbuch entsprungen, trug Nöhrgel einen eleganten Frack und statt einer Zipfelmütze einen Lorbeerkranz. So provozierend wie er auftrat, schien sich der Älteste seiner Sache sehr sicher zu sein. Oder er hatte beschlossen mit wehenden Fahnen unterzugehen, meldete sich eine leise Stimme in Wallerichs Unterbewusstsein.
»Wallerich vom Clan der Käsebohrer«, begann Laller mit öliger Stimme. »Ist es richtig, dass du gestern Nacht einen Trupp Trolle befehligt hast, die ausgeschickt waren, um zwei Flüchtige von Nebenan einzufangen?«
»Das ist richtig, Herr Chefankläger.« Wallerichs Hände krampften sich um das Geländer. Der Juckreiz am Rücken wurde immer unerträglicher.
»Und diese Aktion war ein Fehlschlag.« Laller ging zu seinem Pult und kramte demonstrativ in einigen Papieren. »Wenn ich richtig informiert bin, wurde dabei die Wohnung einer Sterblichen demoliert, und es wurde sogar ein Streifenwagen der örtlichen Gendarmen beschädigt. Die beiden Flüchtlinge aber konnten entkommen. Wie erklärst du das, Wallerich?«
»Hast du schon mal mit Trollen zusammengearbeitet?«, entgegnete Wallerich gereizt und gab dem Drang nach, sich am Rücken zu kratzen. »Wenn die wirklich das tun, was du von ihnen verlangst, dann ist das purer Zufall.«
»Du würdest also sagen, dass die Wahl von Trollen als Handlanger dazu angetan war, gleich von vornherein den Erfolg der Operation infrage zu stellen?« Mit triumphierendem Lächeln wandte sich Laller an Nöhrgel. »Und warum hat dann unser Ältester darauf bestanden, ausgerechnet Trolle einzusetzen? Sollte ein Heinzelmann mit seinen reichhaltigen Erfahrungen sich über die Risiken dabei nicht im Klaren gewesen sein? Oder war es vielmehr Absicht, dass diese Operation missglückte?«
Ein Raunen ging durch die Reihen des Publikums.
»Das stimmt so nicht«, wandte Wallerich ein und verrenkte sich, um sich am linken Schulterblatt zu kratzen. »Nöhrgel ist doch …«
»Ein Zeuge hat nur zu reden, wenn er dazu aufgefordert wird«, schnauzte Laller. »Und im Übrigen solltest du damit aufhören, so merkwürdige Verrenkungen im Zeugenstand aufzuführen. Oder willst du mit diesem Clownsspiel die Würde des Gerichts untergraben?«
Wallerich umklammerte wieder das Geländer. »Nein, Herr Chefankläger.« Schweiß perlte von seiner Stirn. Der Juckreiz wurde immer schlimmer. Es war, als wanderten hunderte von Ameisen über seinen Rücken. »Die beiden Flüchtlinge konnten uns entkommen, weil einer von ihnen es schaffte, eine Bettdecke in einen fliegenden Teppich zu verwandeln. Mir war nicht bekannt, dass es sich bei einem der beiden um einen Zauberer handelte. Wäre dies nicht der Fall gewesen, wären sie unserem Zugriff auf keinen Fall entkommen. So betrachtet waren die Trolle also nicht das falsche Mittel, um …«
»Tatsache bleibt, die Flüchtigen sind weiter auf freiem Fuß«, unterbrach ihn Laller und wandte sich dann mit großer Geste an das Publikum. »Interessanter als das Problem, warum ausgerechnet tollpatschige Trolle für dieses Unternehmen eingesetzt wurden, ist vielleicht sogar die Frage, woher Nöhrgel wusste, dass sich die Flüchtlinge in diesem Haus bei einer jungen Menschenfrau aufhielten. Vielleicht kann unser Zeuge darüber etwas sagen?«
Wallerich wünschte sich, Rölps sei hier und hätte gehört, wie Laller über ihn redete. »Wir sind durch sorgfältige Nachforschungen auf die Spur der Flüchtlinge gekommen.«
»Und spielte dabei eine Maschine eine Rolle, die unser Ältester Wahrscheinlichkeitskalkulator nennt?«
Wallerich sah unruhig zu Nöhrgel hinüber. Der Älteste nickte sanft. »Ja, diese Maschine wurde für die Nachforschungen eingesetzt.«
»Und würdest du dem hohen Rat vielleicht erklären, um was für eine Art Maschine es sich dabei handelt?«
Wallerich räusperte sich. Der Schweiß lief in Bächen nun auch seinen Rücken hinab und machte das Jucken immer unerträglicher. Lange würde er es nicht mehr aushalten!
»Soll ich dir ein Taschentuch geben?«, fragte Laller süßlich. »Meine lieben Freunde«, er wandte sich wieder zum Publikum, »ihr könnt es von den hinteren Rängen nicht sehen, aber dem Zeugen steht der blanke Schweiß auf dem Gesicht.« Der Chefankläger sah wieder zu Wallerich. »Ist dir die Frage so unangenehm?
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