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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Wollpuschel am Ende gewählt hatte. Luigi Bügler, der auf den hinteren Rängen im Versammlungssaal saß, drehte sich bei dem Anblick einer so einfallslosen Mode wahrscheinlich der Magen um.
    Wallerich kletterte über die kleine Leiter auf das Podium, das als Zeugenstand diente. Hier oben konnte ihn jeder im Saal sehen. Eine Gerichtsversammlung der Heinzelmänner hatte nur wenig mit entsprechenden Veranstaltungen der Menschen gemein. Das Ganze erinnerte mehr an ein Volksfest, obwohl in den letzten Jahren auch starke Einflüsse amerikanischer Kinokultur ihren Niederschlag gefunden hatten. Etliche der jüngeren Heinzelmänner hatten sich um große Popcorntüten geschart und riesige Colabecher mitgebracht, aus denen ein halbes Dutzend Strohhalme ragte. Die jüngere Generation trug coole Sonnenbrillen und war ganz von den Modemarotten Luigi Büglers geprägt.
    Die Älteren gingen die Sache traditioneller an. Wallerich hatte eben noch am Eingang des Gerichtssaals einen Streit miterlebt, bei dem es darum ging, dass sich eine Gruppe von Hinterwäldlern in den Kopf gesetzt hatte, während der Verhandlung Taube am Spieß zu braten. Selbst das Angebot, dem Rat die Brustfilets zu überlassen, hatte die Türsteher jedoch nicht bewegen können, diese Barbaren hier einzulassen. Dafür war mit Unterstützung von Laller ein Trupp Kobolde auf den vorderen Rängen zugelassen worden. Sie steckten die ganze Zeit ihre verrunzelten kleinen Köpfe zusammen, und nun, da Wallerich den Zeugenstand betreten hatte, blickten sie zu ihm auf und grinsten auf eine Art und Weise, die das Schlimmste befürchten ließ!
    Viele der im Ratssaal versammelten Heinzelmänner waren auf Nöhrgel nicht gut zu sprechen. Der Älteste hatte in letzter Zeit oft gegen das zügellose Leben der Gemeinde gewettert und mehrfach darauf hingewiesen, dass man der Univerwaltung schon seit dreiundzwanzig Monaten keinen Streich mehr gespielt hatte, der es in seinen Auswirkungen wenigstens bis zu einer Schlagzeile in den Lokalblättern gebracht hätte. Der Alte vertrat vehement die Auffassung, dass man hin und wieder den Alltag der Menschen durcheinander bringen musste, damit sie keinen zu großen Unsinn anstellten. Die Mehrheit der Heinzelmänner hingegen war mittlerweile der Meinung, dass es ausreichte, die Tore nach Nebenan zu bewachen, und man ansonsten jedes Recht hatte, sich einen schönen Lenz zu machen.
    Wallerich sah sich selbst eigentlich auch als einen Heinzelmann, der vollauf damit zufrieden gewesen wäre, einfach nur das Leben zu genießen. Doch leider hatte er die unglückliche Veranlagung, sich immer wieder bis über beide Ohren in Schwierigkeiten zu stürzen. Eine Anlage, die Nöhrgel sehr sympathisch war, weshalb der Älteste ihn bisher immer vor der Strafe des Rates geschützt hatte. So war er, Wallerich, ohne dies je beabsichtigt zu haben, in den Ruf gekommen, die rechte Hand des Ältesten zu sein. An diesem Tag bedeutete das allerdings, dass, wenn man Nöhrgel anklagte, es auch um seinen Kopf ging. Etwas juckte unter seinem Kinn. Wallerich kratzte sich unauffällig mit dem Daumen, doch der Juckreiz wurde dadurch nur schlimmer. Die Kobolde in der ersten Reihe grinsten ihn immer noch an.
    »Fühlst du dich nicht wohl, Zeuge Wallerich?«, fragte Laller mit einer Stimme, die vor heuchlerischem Mitleid nur so triefte. »Gibt es für dein Unwohlsein vielleicht einen Grund, den wir kennen sollten?«
    »Ich habe nichts zu verheimlichen.« Wallerich legte die Hände auf das schmale, hölzerne Geländer an der Vorderseite des Podiums. Er bot all seine Willenskraft auf, um sich nicht schon wieder zu kratzen, obwohl es auf seinem Rücken höllisch zu jucken begann. Der Blick des Heinzelmanns wanderte durch den Saal. In den Bankreihen, die wie in einem Amphitheater halbrund angeordnet waren und zur Wand hin anstiegen, drängten sich zahllose neugierige Zuschauer. Vertreter aus allen Clans waren gekommen, um sich das Spektakel anzusehen. Sogar Heinzelmänner aus dem Bergischen Land und der Eifel waren zugegen. Nöhrgel war eine lebende Legende, und wer es wagte, sich an ihm zu vergreifen, musste entweder unumstößliche Beweise für eine Schurkerei haben oder vollständig verrückt geworden sein. In jedem Fall würde die Versammlung sehr unterhaltsam werden.
    Hinter dem Podium stand, ebenfalls erhöht, ein langer Tisch, um den sich unter dem Vorsitz von Mazzi vom Clan der Trommelbrecher die Mitglieder des Rates versammelt hatten. Nöhrgel thronte etwas abseits von ihnen

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