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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Fußboden.«
    *
    Cagliostro schnäuzte sich in ein spitzengesäumtes Tüchlein und ließ es gleich darauf wieder in seinem weiten Ärmel verschwinden. »Verfluchtes Mistwetter! Wie kann man nur freiwillig in einem solchen Land leben!« Ein Windstoß blähte die Schöße seines weiten Gehrocks, und der Graf musste nach seinem Dreispitz greifen, damit er ihm nicht vom Kopf geblasen wurde.
    »Hier oben auf der Domplatte ist es immer windig«, erklärte Mariana überflüssigerweise.
    »Was du nicht sagst«, erwiderte Cagliostro spitz. Eine gallige Bemerkung zu ihrem außerordentlichen Scharfsinn lag ihm auf der Zunge, aber er schluckte sie hinunter. Es wäre dumm, seine kleine Muse zu sehr zu verärgern. In dieser verflixten Welt, in der nichts mehr so war, wie es sein sollte, würde er ihre Hilfe brauchen. Verdrossen legte er den Kopf in den Nacken und musterte das riesige Bauwerk. Grünliches Licht strahlte aus allen Richtungen auf diese gewaltige Ansammlung von Spitzbögen, verschnörkelten Strebepfeilern und Fratzen schneidenden Wasserspeiern. An einen der beiden Türme klammerte sich ein Gerüst wie eine riesige, vielgliedrige Spinne. An manchen Stellen schimmerten die Steine des Doms hell, als seien sie erst vor kurzem gereinigt oder erneuert worden. Doch je weiter man nach oben blickte, desto düsterer wirkte das himmelstrebende Gotteshaus. Das merkwürdige grüne Licht, das mit langen Fingern von den Dächern der umliegenden Gebäude nach dem Dom griff, tat ein Übriges dazu, den Bau unheimlich erscheinen zu lassen. Nicht einmal warmes Kerzenlicht spiegelte sich in den hohen Fenstern. Aber vielleicht verlor sich ja das Licht der kleinen Flammen in der weitläufigen Finsternis im Inneren dieses gewaltigen Gotteshauses.
    Den Dreispitz tief in die Stirn geschoben, marschierte Cagliostro geradewegs auf das Hauptportal zu. Außer ihm und Mariana ließ sich niemand in dieser stürmischen Nacht in der Nähe der Kathedrale blicken. Alle übrigen Bewohner des Universums waren eindeutig vernünftiger als sie beide! Auch seine Gefährtin hatte den ganzen Abend über ihren Unwillen zur Schau getragen und brummte missmutig Verwünschungen vor sich hin. Der Graf war es gewohnt, dass man an seinem Genie zweifelte und seine Taten infrage stellte. Es war das Schicksal der Großen, in solchen Stunden stets allein zu sein! Aber als Großkoptha der Ägyptischen Loge würde er sich durch nichts mehr aufhalten lassen. Nicht jetzt, wo der Schlüssel zu einer neuen Welt zum Greifen nahe war!
    Eine Windböe riss ihm den Dreispitz vom Kopf, als er die Hand nach dem schweren Kupferring am Hauptportal ausstreckte. Mattes Glühen spielte um das Metall und noch bevor er den Türring berühren konnte, schoss ein flammender Strahl hervor, wand sich um seine Finger und verschwand. Mit einem halb erstickten Schmerzensschrei auf den Lippen taumelte Cagliostro zurück. Seine Hand stank nach verbranntem Horn. Blut tropfte ihm von den halb versengten Nägeln.
    Ungläubig starrte er auf die Verletzungen. »Bei den wogenden Brüsten Liliths, was war das?« Argwöhnisch musterte er die Gesichter der steinernen Heiligen, die in Nischen hoch über dem Portal wachten. Wie zu erwarten verzog keiner eine Miene.
    »Lass uns gehen«, zischte Mariana. »Deine Hand muss versorgt werden.«
    »Nein! Wer bin ich, dass ich mich so kurz vor dem Ziel aufhalten ließe!« Cagliostro nahm seinen ganzen Mut zusammen und trat erneut vor das Portal. Diesmal streckte er die Linke nach dem Türgriff aus. Seine Hand zitterte. Ein Lichtblitz löste sich vom Kupferring.
    Der Graf wurde zurückgeschleudert. Sein Gesicht war eine Grimasse von Schmerz und Enttäuschung. Seine rußgeschwärzte Linke krümmte sich wie eine vertrocknete Vogelklaue. Mühsam kämpfte er sich auf die Beine und reckte die Hände drohend den steinernen Heiligen entgegen. »Ihr werdet mich nicht aufhalten!«
    Auf dem Portal erschienen flammende Buchstaben:

    Darunter bildete sich ein unscharfes Bild, das karikierte Fabelwesen mit Bocksbeinen und Hörnern und einen dümmlich dreinblickenden Hund zeigte.
    »Könnte es sein, dass die Kirche sich gegen dich wehrt?«, fragte Mariana vorsichtig. »Vielleicht können Geschöpfe von Nebenan keinen heiligen Boden betreten.«
    Cagliostro starrte lange das Domportal an. »Ich bin Sizilianer! Ich bin im Schatten von Kirchtürmen groß geworden. Habt ihr schon vergessen, dass ich erst 1783 drei goldene Louisdors für eine neue Glocke für Santa Maria Nascente gespendet

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