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Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Arzt.«
    Die Möwe stieß ein protestierendes Kreischen aus und schlug mit den Flügeln, als hätte sie verstanden, was Martin sagte.
    »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich gegenüber meiner Möwe eines freundlicheren Tonfalls befleißigen könnten«, ertönte eine Stimme aus dem Nichts.
    Till zuckte zusammen und sah sich um. Neben der Möwe nahm ein kleiner, ziemlich lächerlich aussehender Kerl Gestalt an. Er trug eine rote Zipfelmütze, eine grüne Jacke aus grobem Stoff, blaue Hosen und ein Paar blank geputzte Stiefel. Die Gestalt war ein wenig größer als die Möwe und hatte einen geradezu bombastischen Bart, der in drei Zöpfe gegabelt war, die er hinter seinen breiten Gürtel geschoben hatte. Noch grotesker wirkte der Schnauzer ihres Besuchers. Er ragte in zwei nadelspitzen Strähnen in unnatürlichem Winkel nach oben und reichte fast bis zum Mützenrand hinauf.
    Martin rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen, blinzelte und sah seinem Gesichtsausdruck zufolge noch immer, woran er nicht glauben mochte. Till hingegen hatte nach seinen Erfahrungen mit Neriella nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Gestalt neben der Möwe real war.
    »Ich glaube, mir ist nicht ganz wohl«, murmelte Martin gepresst. »Ich muss Halluzinationen haben. Ich sehe einen Zwerg neben der Möwe …« Er lachte, doch es klang eher hysterisch als heiter. »Das gibt’s doch nicht. Ob die hier Ecstasy in ihre Drinks mischen?«
    »Ich bin kein Zwerg, sondern Laller, der Älteste der Kölner Heinzelmänner«, erklärte die kleine Gestalt mit dem absurden Bart gereizt. »Das ist ein erheblicher Unterschied! Seien Sie gewiss, wenn Sie einen Zwerg beleidigt hätten, dann hätten Sie jetzt wahrscheinlich schon eine Spitzhacke in der Kniescheibe stecken. Wir Heinzelmänner sind gewöhnlich sehr geduldig im Umgang mit euch Langen , aber ich muss sagen, in Anbetracht eurer Vergehen bin auch ich mit meiner Geduld bald am Ende!«
    »Vergehen?«, fragte Till. Ob der Kerl etwa gekommen war, weil er Neriella versetzt hatte?
    Der Heinzelmann zog eine Schriftrolle hinter seinem Bart hervor. »Sehr richtig, Vergehen! Ich habe hier ein rechtskräftiges Urteil gegen die Anführer der Ui Talchiu.
    Der Rat der Heinzelmänner zu Köln hat an diesem Abend beschlossen, dass Sie gemäß dem Grundsatz des Verursacherprinzips dazu verurteilt sind, den Schaden, den Sie in der Samhaimnacht angerichtet haben, wieder gutzumachen. In diesem Zusammenhang erwartet der Rat von Ihnen, dass Sie innerhalb der nächsten Tage nach Nebenan gehen werden. Näheres über diese Mission erfahren Sie zu gegebener Zeit. Laut der Nichtigkeitsverordnung von 1889 ist es Menschen nicht gestattet, gegen ein Urteil des Rates Widerspruch oder Berufung einzulegen. Mit dem Verkünden des Urteils ist es rechtskräftig geworden.«
    »Kneif mich«, flüsterte Martin. »Ich glaube, ich bin dabei, den Verstand zu verlieren.«
    Der Heinzelmann lachte gehässig. »Sie sind doch der Eigentümer der Villa Alesia. Bei menschlichen Gerichtshöfen mag es eine beliebte Ausflucht sein, auf geistige Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren, aber da es nach den Maßstäben meines Volkes ohnehin keine geistig gesunden Menschen gibt, hat Ihre Befindlichkeit keinerlei Einfluss auf die Rechtskraft des Urteils.«
    Till räusperte sich. »Dürfte man vielleicht erfahren, weshalb wir verurteilt werden?«
    Der Kleine musterte ihn mit durchdringendem Blick.
    »Ich weiß nicht, wie es bei euren Gerichten üblich ist, aber bei uns Menschen haben die Angeklagten durchaus das Recht zu erfahren, was sie verbrochen haben.«
    Der Heinzelmann wurde rot. »Wollen Sie etwa behaupten, dass die Gesetze meines Volkes nicht gerecht seien?«
    »Äh, nein. Natürlich nicht …« Till zögerte. »Es ist nur so, dass man einen Fehler besser bereuen kann, wenn man weiß, was man falsch gemacht hat.«
    »Sie wollen also behaupten, dass Sie sich Ihrer Schuld nicht einmal bewusst sind!« Die Bartenden des Heinzelmanns zitterten wie die Zeiger eines Seismographen bei einem mittelstarken Erdbeben. »Sie haben mit Ihrem Ritual in der Samhaimnacht ein Tor nach Nebenan geöffnet und damit einem Werwolf und einem bösartigen Zauberer das Eindringen in Ihre Welt ermöglicht. Wir vermuten, dass diese beiden den Auftrag haben, noch weitere Tore zu öffnen. Können Sie sich vorstellen, was passieren wird, wenn sich in Köln auf dem Neumarkt ein launischer Drache breit macht oder ein räuberischer Riese den Hohenzollernring

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