Nebenan: Roman
sperrt und von jedem Autofahrer Wegegeld fordert? Ich sage Ihnen, Ihre ganze Zivilisation würde binnen einer Woche in sich zusammenbrechen, wenn diese Nichtsnutze von Nebenan hierher zurückkehren und anfangen, sich wieder so zu benehmen wie früher.«
»Ich … ähm, darf ich dich einmal berühren?«, fragte Martin.
Der Heinzelmann schnaubte verächtlich und ging dann mit energisch ausgreifenden Schritten auf Martin zu. »Sie halten mich wohl für eine Halluzination! Nur weil Sie nicht glauben können, was Sie sehen, bin ich noch lange nicht bereit, mich von Ihnen begrapschen zu lassen. Ihr Langen glaubt immer, ihr könnt euch uns gegenüber alles herausnehmen. Aber diese Zeiten sind vorbei!« Laller hüpfte Martin auf den Fuß und trat ihm dann mit aller Kraft vor das Schienbein. »Ich hoffe, diese kleine Demonstration reicht aus, Ihnen zu beweisen, dass ich wirklicher bin als eine Halluzination oder ein Hirngespinst.«
Der Heinzelmann sprang wieder von Martins Fuß herunter und baute sich vor dem Musiker auf, wobei er die Hände in die Hüften stemmte und herausfordernd zu ihm heraufblickte. »Noch Fragen?«
Martin sah eingeschüchtert zu Till hinüber. »Ich habe ihn gespürt …« Er machte einen Schritt zurück. »Es gibt ihn wirklich!« Er war kreidebleich geworden. »Ich dachte immer, ihr Heinzelmänner seid freundliche kleine Kerle, die den Menschen zur Hand gehen und über Nacht alle unangenehmen Arbeiten erledigen.«
»Sehe ich vielleicht völlig verblödet aus?«, fragte Laller gereizt. »Warum sollte ich wohl Ihren Dreck wegfegen? Zugegeben, es gab Zeiten, in denen wir Heinzelmänner euch Menschen bewundert und aus lauter Dankbarkeit hin und wieder einen Gefallen getan haben, aber das ist lange vorbei! Ihr habt uns viel zu oft hinterhergeschnüffelt! Das ist das Kreuz mit euch. Ihr könnt niemals die Privatsphäre anderer Geschöpfe achten. Zum endgültigen Bruch ist es allerdings gekommen, als ihr vor rund hundert Jahren angefangen habt diese lächerlichen Statuen in eure Gärten zu stellen. Wir lassen uns von euch doch nicht verarschen!«
»Lächerliche Statuen?«, fragten Martin und Till wie aus einem Munde.
»Na, diese grellbunten Heinzelmänner mit den dämlichen Kulleraugen, die dümmlich grinsend Schubkarren durch eure Vorgärten schieben, Lampen hochhalten oder einfach nur in die Gegend glotzen! Was habt ihr Langen nach dieser Provokation eigentlich erwartet? Dass wir euch vor lauter Begeisterung auch noch die Klos putzen?«
Die beiden Discogladiatoren schwiegen verunsichert.
»Wir sind aus eurer Warte gesehen vielleicht klein«, fuhr Laller etwas weniger erhitzt fort, »aber wir sind keineswegs niedlich oder harmlos. Wenn wir uns das nächste Mal wieder sehen, werde ich eindeutige Instruktionen für euch haben, was ihr im Dienste der Heinzelmänner tun werdet, und ich rate euch, versucht nicht, euch zu drücken. Ihr könnt euch im Moment noch nicht einmal im Entferntesten vorstellen, was es heißt, sich die Feindschaft eines Heinzelmanns zuzuziehen. So, und jetzt macht das verdammte Fenster wieder auf. Ich habe nicht vor, mit Schnapper quer durch diesen Tanztempel zu fliegen, um wieder nach draußen zu kommen.« Der Heinzelmann schnippte mit den Fingern, worauf sich der Vogel auf den Boden kauerte und mürrisch mit dem Schnabel knirschte.
»Was übrigens eure Schwertkampfvorstellung angeht … Das sieht gar nicht mal übel aus.« Laller lachte boshaft. »Auch das ist ein Grund, warum wir euch für die Mission Nebenan ausgesucht haben. Und jetzt macht endlich das Fenster auf. Ich hasse es, mich zu wiederholen!«
Gehorsam sprang Martin auf den Schminktisch. Die Möwe erhob sich schwerfällig flatternd, schien einen Moment lang die Deckenlampe rammen zu wollen und schaffte gerade eben noch eine wackelige Landung auf dem Fensterbrett. Dann verschwand sie mit einem Hüpfer in der Finsternis jenseits des Sims.
Martin schloss das Fenster und atmete aus. »Das … das war alles nur eine sehr lebhafte Halluzination, nicht wahr?«
Till schwieg eine Weile und dachte an Neriella. Nein, Einbildung war das sicher nicht gewesen! Dann fiel sein Blick auf einen weißen Fleck, dort wo die Möwe gesessen hatte.
»Die haben uns hier irgendwelche Trips in die Cocktails gemischt, oder?«, fragte Martin beschwörend. »Das war so ’ne Art Horrortrip!«
»Nein«, sagte Till sehr leise und deutete zu dem Fleck auf den Linoleumfliesen. »Ich fürchte, Trugbilder scheißen nicht auf den
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