Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebenan: Roman

Nebenan: Roman

Titel: Nebenan: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
Vom Netzwerk:
habe? Außerdem bin ich bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr in die heilige Messe gegangen. Ihr habt kein Recht, mir den Zutritt zu verweigern. Ich meine … Warum sollte ich plötzlich nicht mehr in Kirchen dürfen? Ich war doch nur ein paar Jahre fort.«
    »Mehr als zweihundert Jahre«, bemerkte Mariana. »Lass uns gehen, Cagli«, flüsterte sie und sah ängstlich zu der Tür, auf der die Flammenschrift langsam verglühte. »Es kann nichts Gutes dabei herauskommen, wenn man sich mit Kirchenportalen auf Diskussionen einlässt.«
    »Wer bin ich denn, dass ich mich von einer Kirche aussperren lasse! Es ist mein gutes Recht, in dieses Gotteshaus zu gehen. Ich bin ein ordentlich getaufter Katholik!«
    »Ein Katholik, der sich zum Großkoptha ausgerufen hat und der von der Inquisition in die Kerker der Engelsburg gesperrt wurde«, erinnerte ihn die Druidin.
    »Nur weil ich diesem verstockten Papst Pius VI. und seinen schielenden Speichelleckern vom Inquisitionsgericht nicht klar machen konnte, dass Moses, Enoch und Christus die größten Logenmeister der Freimaurer waren, heißt das noch lange nicht, dass ich mich von einem besessenen Domportal daran hindern lasse, in eine Kirche zu gehen.« Cagliostro krempelte mit dramatischer Geste die Ärmel seines Gehrocks hoch und drohte dem Tor mit hoch gereckter Faust. »Was bist du schon, du … du Tor! Ein paar Balken aus windschiefen Bäumen. Ich werde dir zeigen, was es heißt, mit Giuseppe Balsamo Krieg anzufangen!« Eine Feuerkugel schoss von der Hand des Grafen dem Portal entgegen, prallte ab und wurde auf den Sizilianer zurückgeworfen.
    Als die Flammen verflogen, hing sein Gehrock in verbrannten Fetzen, seine Perücke hatte Ähnlichkeit mit einem angesengten Wischmopp bekommen, und seine bebenden Nasenflügel erinnerten in Aussehen und Farbe an einen gut durchgebratenen Hähnchenflügel. Auf dem Kirchportal aber erschien eine flammende Faust, die einen Lidschlag lang den Mittelfinger vorstreckte und dann verblasste.
    »Das also ist dein Niveau«, grollte der Graf und kam mit Mühe wieder auf die Beine. »Das soll dir mit gleicher Münze vergolten sein!«
    Mariana brachte sich im Laufschritt in Sicherheit, während Cagliostro einen düsteren Sprechgesang anstimmte.
    Knirschend schoben sich Steinplatten auseinander und vor dem Grafen wuchs eine Statue aus dem Boden. Sie zeigte einen kleinen, pausbackigen Jungen mit frechem Grinsen, der an ein berühmtes Brüsseler Standbild erinnert hätte, wären da nicht die Stummelhörnchen auf seiner Stirn gewesen und die krummen Bocksbeine, auf denen er stand. Cagliostro klatschte schallend in die Hände. Eine Sturmbö rannte gegen den düster aufragenden Dom an, und aus dem vorstehendsten Körperteil des Jungen schoss eine dünne Wasserfontäne, die in weitem Bogen auf das Hauptportal zielte.
    »Wir sehen uns wieder!«, drohte der Graf, rutschte mit würdevoller Geste die versengte Perücke auf seiner Glatze zurecht und ging stolz erhobenen Hauptes in Richtung der Treppen, die zum Parkhaus unter dem Dom führten.

10

    Als Doktor Salvatorius erwachte, stand die Sonne schon hoch am grauen Novemberhimmel. Die Mittagsstunde war verstrichen. Er fühlte sich so zerschlagen, als sei er stundenlang gelaufen. Nur mit Mühe konnte er sich an die Ereignisse der vergangenen Nacht erinnern.
    Die Lider noch halb geschlossen, tastete seine Linke fahrig durch die zerwühlten Laken. Er hatte ein Bett, das wahrscheinlich größer war als die meisten deutschen Schlafzimmer. Aber seine Jagd letzte Nacht war nicht erfolgreich gewesen. Er war allein! Das war ihm lange nicht mehr passiert. Sonntage ohne Gesellschaft waren ein Gräuel. Selbst neben einer Frau aufzuwachen, die nicht mehr halb so gut aussah wie in der Nacht zuvor und die man im Laufe des Tages auf höfliche, aber entschiedene Art loswerden musste, war besser als sonntags allein zu sein.
    Er streckte sich und ließ die Fingergelenke knacken. Täuschte er sich? Sein Handrücken … Wuchsen dort mehr Haare? In den letzten Tagen hatte er sich abends, bevor er ausging, noch ein zweites Mal rasieren müssen. Etwas schien seinen Hormonhaushalt durcheinander gebracht zu haben. Er schnaubte. Nicht nur seinen Hormonhaushalt! Diese verdammte Nachtbehandlung! Er hatte versucht Mariana anzurufen und sie nach diesen merkwürdigen Gestalten zu befragen, die sie ihm in die Praxis geschleppt hatte. Keines der Bilder, das er von seinem Patienten mit der Kette im Maul geschossen hatte, war geglückt. Nicht

Weitere Kostenlose Bücher