Nebenweit (German Edition)
nehmen. »Ich weiß nur nicht, was Sie mit mir und Mortimer vorhaben.«
»Ganz einfach, ich möchte, dass Sie mit ihm reden, ihm erklären, dass Sie seine Welt kennen, selbst aus ihr stammen und sich damit abgefunden habe, den Rest Ihres Lebens hier –«
»Wer sagt das denn?«, fuhr ich dazwischen. »Ich bin immer noch überzeugt, dass es einen Weg zurück geben muss, und ich will doch diesem armen Teufel nicht jede Hoffnung nehmen.«
»Herr Lukas, glauben Sie mir, Sie tun ihm einen Gefallen, wenn Sie ihm diese Illusion nehmen. Der Mann ist schwer krebskrank und hat nur noch ein paar Wochen zu leben, das haben meine Kollegen inzwischen festgestellt. Diese paar Wochen wollen wir ihm so leicht wie möglich machen, das ist ein Gebot menschlicher Barmherzigkeit. Und was Sie glauben oder nicht glauben, spielt mit Verlaub in diesem Zusammenhang keine Rolle. Wenn es für Sie einen Weg zurück geben sollte – sollte, habe ich gesagt –, dann ganz bestimmt nicht in den nächsten Wochen oder Monaten. Und so lange wird Mortimer nicht mehr leben. Aber so, wie es jetzt ist, sitzt er in seinem Zimmer, stiert die Wand an und schimpft in einer für uns weitgehend unverständlichen Sprache mit den Pflegern, die ihm das Essen bringen.
Ich möchte, dass Sie uns helfen, ihn zuallererst einmal zu beruhigen. Wenn das gelungen ist, wird er vielleicht – hoffentlich – einwilligen, dass wir ihn einer Hypnosebehandlung unterziehen, die ihn seine Vergangenheit vergessen und die letzten Monate seines Lebens in innerem Frieden verleben lässt. Gegen seinen Willen dürfen wir das nicht. Das würde gegen unsere Prinzipien verstoßen. Vom sprachlichen Problem einmal ganz abgesehen. Im Übrigen werden Sie im Laufe Ihres Gesprächs mit Herrn Mortimer vermutlich noch einige Dinge erfahren, die unsere Rolle hier vielleicht in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen. Aber da will ich jetzt nicht vorgreifen.«
Ich sah Carol an und verdrehte die Augen. Das wurde ja immer heiterer. Jetzt sollte ich noch den Hilfspsychiater spielen! Aber Carol schien dabei gar nichts zu finden, denn sie meinte: »Das solltest du dir überlegen. Wenn es dem armen Menschen hilft. Ich bin auch mit von der Partie. Eine Frau aus seiner Heimat – im weitesten Sinne, meine ich –, das könnte ihm doch guttun.«
»Na schön«, gab ich mich geschlagen und meinte dann zu Dupont gewandt: »Meine Frau hat offenbar eine sehr hohe Meinung von mir. Gut, ich überleg’s mir. Jetzt gleich brauchen Sie ja wohl keine Antwort.«
***
Falls ich Dupont falsch eingeschätzt hatte, hatte ich jetzt einen fatalen Fehler gemacht, dachte ich, als ich neben ihm über den auf Hochglanz gewienerten Korridor seines Krankenhauses ging. Mortimers Zimmer war das letzte am Flur. Dupont klopfte und öffnete, ohne auf eine Reaktion zu warten, die Tür. Das Zimmer wirkte wie ein kleines Appartement, keine Spur von Krankenhausatmosphäre. Ein breites Fenster gab den Blick auf den strahlend blauen Föhnhimmel frei, im gepflegten Hof konnte man ein paar Kastanienbäume sehen, die noch im satten Grün standen, als wäre der Herbst noch in weiter Ferne.
Den Angaben in seinem Pass nach zu schließen, den Dupont mir in seinem Büro gezeigt hatte, war Mortimer 88 Jahre alt, sah aber aus wie ein Endsechziger. Er hatte in einem Sessel am Fenster gesessen und erhob sich, als wir das Zimmer betraten. Er trug Jeans, einen grauen Pullover mit einem Logo, das einen Baseballschläger und einen grellroten Vogel zeigte, und hatte militärisch kurz geschnittenes, eisengraues Haar, das sein kantiges Gesicht betonte. Als er auf uns zuging, reckte er sich unwillkürlich und drückte die Schultern durch. Er musterte uns misstrauisch.
»Mr. Mortimer, I am Bernd Lukas and would like to talk to you«, sagte ich und streckte ihm die Hand hin. »How do you do?«
»Thanks, I am fine, and you?«, kam es automatisch über die Lippen des alten Mannes, und seine Gesichtszüge glätteten sich, strahlten beinahe. »It’s a great pleasure to meet you. I mean, somebody who can speak my language.« Er drückte mir die Hand und hielt sie krampfhaft fest wie ein Ertrinkender.
Ich schüttelte sie ein paar Mal, löste mich dann von ihm und wandte mich zu Dupont. »Ich denke, das war ein guter Anfang. Er ist erkennbar froh, mit jemandem in seiner Sprache sprechen zu können. Was Sie als seltsamen Dialekt bezeichnen, ist übrigens amerikanisches Englisch. Das klingt ein wenig anders als das, das man auf der Insel spricht und
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