Nebenweit (German Edition)
unterbrach er sich und strich sich sinnierend über die Stirn, »dabei ist das jetzt über siebzig Jahre her. Ja, und dann waren wir eine Weile hier stationiert, da habe ich meine Gisela kennengelernt. War damals nicht ungefährlich, uns war ja der Kontakt zur deutschen Bevölkerung streng verboten. Fraternisation nannte sich das, und die MPs haben höllisch aufgepasst. Zum Glück hat man das Verbot dann aufgehoben, und als meine Dienstzeit zu Ende war und die mich in die Staaten entlassen haben, habe ich meine Gisela geheiratet und mit in die Staaten genommen. Wir haben eine glückliche Ehe geführt, das kann ich Ihnen sagen. Drei Kinder hat sie mir geschenkt, und die haben es alle zu etwas gebracht. Einer, Anthony, ist Anwalt in New York, Frederic jr. hat ein Autohaus in New Jersey und unsere Tochter Cynthia ist mit einem Professor an der Chicago University verheiratet. Gisela ist vor vier Jahren gestorben, kurz vor unserem zweiundsechzigsten Hochzeitstag.« Er wischte sich eine Träne aus den Augen, und ich hatte das Gefühl, als würde er in seinem Sessel zusammensacken. Aber es dauerte nur einen Augenblick, dann richtete er sich wieder auf.
»Aber was erzähle ich Ihnen da, Bernd, das sind Erinnerungen eines alten Mannes, die heute keinen mehr interessieren …«
Ich wehrte ab. »Nein, erzählen Sie nur, ich will Sie ja kennenlernen und sehen, wie ich Ihnen helfen kann.«
»Das hat dieser Kerl mit dem Schnurrbart auch gesagt, Francis hieß er, aber er hat kaum Englisch gesprochen, und mit meinem Deutsch ist es ja auch nicht so weit her. Damals, vor sechzig Jahren war das anders, da hat Gisela mir einiges beigebracht, aber als wir dann in den Staaten lebten, haben wir nur noch Englisch miteinander gesprochen. Ich glaube, Gisela hat ihr Deutsch auch ziemlich vergessen. Ich weiß jedenfalls, dass die Leute immer so komisch geguckt haben, wenn wir im Urlaub hier waren und sie mit ihnen geredet hat.« Er strich sich über die Augen, griff nach einem Papiertaschentuch.
»Sie haben sie wohl sehr geliebt«, meinte ich, und Mortimer warf mir einen dankbaren Blick zu. »Ja, wir waren die ganze Zeit immer zusammen, ich bin meinem Herrgott dankbar, dass er uns zusammengebracht hat. Ein paar Jahre noch, dann werde ich auch bei ihr sein.« Er griff wieder nach dem Taschentuch, und eine Weile herrschte in dem kleinen Krankenzimmer Schweigen. Ich ließ ihm Zeit.
Nach einer Weile fragte ich. »Sie haben da einen Francis erwähnt? Meinen Sie damit den Mann, mit dem ich zu Ihnen gekommen bin? Dr. Dupont? Aber der hat doch keinen Schnurrbart.«
»Nein, Francis war der, der mich aus dem anderen Krankenhaus geholt hat. Er stand plötzlich in meinem Zimmer und hat mir einen weiten Mantel und einen Hut hingehalten und mich nach draußen gezerrt. Ich wusste ja nicht, was der mit mir vorhatte, und ich hatte Angst. Vorher hatte mich ja schon die Polizei verhört, und die haben so getan, als wäre ich ein Lügner. Dabei habe ich denen doch meine Papiere gezeigt und all das.« Mortimers Hände zitterten. Die Erinnerung nahm ihn sichtlich mit.
»Ich verstehe nicht ganz, dieser Francis hat Sie also sozusagen entführt? Gegen Ihren Willen, meine ich?«
»Ja, so könnte man sagen. Er hat mich gedrängt, in den Mantel zu schlüpfen und den Hut aufzusetzen – wohl, damit mich am Empfang keiner erkennen sollte. Und dann stand draußen ein Wagen mit laufendem Motor, und da hat er mich auf den Rücksitz geschoben, ganz so, wie es die Cops bei uns machen, Sie wissen schon, mit der Hand den Kopf runtergedrückt, damit man sich nicht anstößt. Bloß, dass er mir keine Handschellen angelegt hat. Und kaum saß ich drinnen, hat der vorne am Steuer auf die Tube gedrückt und ist losgefahren. Es war ja schon dunkel, ich habe nicht gesehen, wo es hinging, und die sind auch mächtig schnell gefahren. Mir wäre fast übel geworden, weil der Wagen so geschaukelt hat. Wir fuhren durch ein Waldstück, und dann hat der neben mir in die Tasche gegriffen und mir ein Tuch über die Augen gebunden. Da ist mir richtig angst geworden, auch wenn der Mann gesagt hat: ›Keine Angst, wir dir nichts tun.‹ Nach einer Weile, wir waren vielleicht eine halbe Stunde unterwegs, hat der Wagen angehalten, und die haben mich aussteigen lassen. Es muss mitten im Wald gewesen sein, das riecht man ja. Und den Waldboden unter den Füßen habe ich auch gespürt. Die haben mich eine Weile vor sich hergeschoben, dann hörte ich ein Klicken. In meiner Angst dachte ich, da lädt
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