Nebenweit (German Edition)
klarzumachen, dass die Zukunft des Volkes nur in der eigenen Welt lag.
»Ihr sollt lernen, eurem Volk zu dienen, nicht indem ihr euch besser als eure Brüder und Schwestern wähnt, sondern indem ihr eure ganze Kraft darauf verwendet, mit dem Wissen der Anderen euren Brüdern und Schwestern zu helfen.«
Antolax hatte das nie ganz verstanden. Schließlich taten er und seine Kameraden doch genau das, was man jenen ›Verrätern‹ vorwarf, nur dass sie in strengster Disziplin militärisch ausgebildet wurden und lernten, mit Waffen und Geräten umzugehen, die den hundertfachen Tod brachten. Oder sogar den millionenfachen, wie er schaudernd erfahren hatte, als sie im Geschichtsunterricht von jener NV-Bombe erfahren hatten, die eine ganze Stadt vernichtet hatte. NV stand für ›Nukleare Vergeltung‹, hatte der Lehrer ihnen erklärt. Daran anschließend hatten sie im Physikunterricht erfahren, welche gewaltige Zerstörungswut die Atomkraft entfesseln konnte.
***
Jetzt
»Und ihr habt es nicht geschafft, diesen Angriff abzuwehren oder euch wenigstens mit dem Gefangenen abzusetzen?« Alu Antolax war aufgesprungen und schritt erregt in seinem Büro auf und ab. Er trug SS-Uniform und die Rangabzeichen eines Standartenführers, er war Leiter der Schule und hatte die beiden Agenten im großzügig ausgestatteten Büro des Anstaltsleiters empfangen. Diesen Rang bekleidete er jetzt seit zwei Jahren.
»Jetzt müssen wir befürchten, dass er seine Geschichte irgendeiner Zeitung erzählt, und wenn die es geschickt anpacken, erfährt die Europawelt von unserer Existenz. Was für Auswirkungen das in Luteta haben wird, könnt ihr euch an den fünf Fingern abzählen! Stümper! Wenn man sich nicht selbst um alles kümmert!«
Mit dieser Standardklage des enttäuschten Vorgesetzten, die es vermutlich in allen Zeitlinien gibt, entließ er die beiden Unglücksraben und begann zu grübeln.
Bernd Lukas
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Duponts Schilderung, wiederum mit der ihm eigenen Bildhaftigkeit vorgetragen, hatte mich erschüttert, und ich bat ihn mit einer Handbewegung innezuhalten. »Was Sie da erzählen, klingt schrecklich. Ich erinnere mich an Erzählungen meines Vaters, der ja die Gräuel der Nazizeit am eigenen Leib erlebt hat, auch wenn er als kleiner Beamter das meiste erst nach dem Krieg erfahren hat. Dieser Antolax scheint mir ja prächtig zu den Nazis in jener Welt zu passen, und ich kann Ihnen nachfühlen, dass Sie da Gefahren wittern, die weit über die bisherigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien Ihrer Zeitlinie hinausgehen. Darüber wird sicherlich noch viel zu reden sein. Aber ich denke, es wäre im Augenblick nicht fair, Frederic Mortimer länger warten zu lassen. Ich denke, wir sollten unser Gespräch unterbrechen und ich sollte zu ihm zurückkehren. Schließlich wollen Sie ja, dass ich ihn beruhige.«
Dupont gab mir recht, und wir gingen zu Mortimers Zimmer zurück. Die Tür stand offen, eine Schwester stand neben seinem Bett und war gerade im Begriff, sich von ihm abzuwenden. Als sie uns sah, wandte sie sich Dupont zu. »Ich wollte gleich zu Ihnen, Herr Doktor«, sprach sie Dupont an, als sie dessen fragenden Blick bemerkte. »Herr Mortimer hat geklingelt, weil ihm nicht gut war. Soweit ich ihn verstanden habe, hat ihn ein Gespräch mit einem Besucher«, ihr Blick wanderte missbilligend zu mir, »etwas angestrengt, und da habe ich ihm ein Beruhigungsmittel gegeben. Sein Blutdruck hat sich bereits normalisiert, und ich denke, er wird jetzt ein paar Stunden schlafen. Ich werde Bescheid sagen, dass man ihm sein Mittagessen erst später bringt, wenn Sie damit einverstanden sind, Herr Doktor.«
Dupont nickte. »Ja, sehr gut, Schwester Monika, tun Sie das bitte. Und sagen Sie mir Bescheid, wenn er aufgewacht und wieder ansprechbar ist. Danke.« Er wandte sich wieder mir zu. »Dann können wir ja unser Gespräch fortsetzen. Wenn es Ihnen recht ist, lasse ich uns einen kleinen Imbiss in mein Büro bringen.«
***
»Antolax hat sich in den über fünfundzwanzig Jahren, die er in der Germaniawelt verbracht hat, dort fast völlig integriert. Mit den Wertvorstellungen der Traditionalisten verbindet ihn nach meiner Einschätzung nur noch der Name. Er hat es in der Hierarchie der Herrschenden dort zu etwas gebracht, besitzt Macht und Einfluss und nutzt beides dazu, sein Leben in vollen Zügen zu genießen. Er besitzt ausgedehnte Ländereien in Ostpreußen, ein schlossähnliches Anwesen, alles
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