Nebenweit (German Edition)
wie durch einen violetten Schleier zu sehen, seine Konturen wurden undeutlich, verschwammen, ein leichtes Prickeln durchlief mich, ich musste blinzeln – und jetzt war der Platz vor dem Bildschirm leer!
Ich riss die Augen weit auf, blinzelte ein paar Mal, sah noch einmal hin – aber das Bild war das gleiche. Ein Pult, ein Bildschirm mit Farbmustern darauf und eine blonde Frau um die vierzig im weißen Laborkittel.
»Und der junge Mann ist jetzt …«, stammelte ich und griff dabei unwillkürlich nach Duponts Arm.
»In unserer Welt«, nickte der. »Der Zeitlinie, die wir Gälia nennen, seit wir wissen, dass es mehrere gibt. Wenn alles programmgemäß verläuft, wird er in ein paar Augenblicken wieder hier erscheinen. Sofern er nicht mit jemand wie Ihnen kollidiert ist«, fügte er lächelnd hinzu. »Eigentlich braucht man diese Bilder und all die Technik nicht, aber so geht es schneller. Inzwischen beherrscht ein gutes Drittel unseres Volkes diese Technik.«
»Aber das bedeutet –«
»Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen«, fiel er mir ins Wort. »Ja, es bedeutet, dass wesentlich mehr von uns in Ihren Welten unterwegs sind, als Sie vermutlich nach unserem ersten Zusammentreffen angenommen hatten. Ich wollte Sie erst etwas besser kennenlernen, ehe ich mit der ganzen Wahrheit herausrücke. Aber Mortimers Auftauchen in dieser Welt und der Versuch von Antolax’ Leuten, ihn in ihre Gewalt zu bringen, hat mich, hat uns sehr unruhig gemacht. Und deshalb gehe ich das Risiko ein, Ihnen gegenüber alle meine Karten auf den Tisch zu legen.« Er sah mich erwartungsvoll an, als erwarte er eine Zustimmung.
Ich wurde der Notwendigkeit einer sofortigen Antwort enthoben: ein leichtes Prickeln, von dem ich eigentlich nicht genau wusste, wo ich es empfand, ließ mich zusammenzucken, und mein Blick löste sich unwillkürlich von Dupont und wandte sich der Glaswand zu, hinter der die Frau im Laborkittel erwartungsvoll auf den Platz vor dem Bildschirm blickte. Jetzt flimmerte dort die Luft, verfärbte sich ins Violette – und dann stand der junge Mann, der sich gerade in Luft aufgelöst hatte, wieder da – als wäre er nie weg gewesen. Selbst die dunkle Haarsträhne, die ihm in die Stirn gefallen war, während er auf den Bildschirm starrte, war noch unverändert …
Er wechselte ein paar Worte mit der Frau, worauf die nickte, und dann verließen beide den Raum.
Ich war zu benommen, um etwas zu sagen. Dupont hatte das wohl auch nicht erwartet, denn er nickte verständnisvoll. »Ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt empfinden. Wenn man das zum ersten Mal mit eigenen Augen sieht, nimmt es einen ziemlich mit. Für Sie als Produkt einer wissenschaftlich orientierten Zivilisation ist das noch weniger fassbar als für uns, die wir ja vor zweihundert Jahren noch an Naturgottheiten geglaubt haben. Übrigens, die Tradis wollen ihren Anhängern weismachen, dass sie das immer noch tun. Sie wissen ja, je weniger gebildet und aufgeklärt die Menschen sind, desto leichter lassen sie sich führen …«
»Sie sollten wohl verführen sagen«, warf ich ein und dachte dabei, dass ich ja schließlich nicht nur ein aufgeklärter Zeitgenosse, sondern zu allem Überfluss noch jemand war, der sich halb professionell mit der Welt der Fantastik befasste.
Dupont schien meine Gedanken gelesen zu haben, denn er kam jetzt wieder zur Sache. »Auf die Gefahr hin, dass Ihnen das jetzt wie plumpe Schmeichelei vorkommt, aber Sie sind wirklich eine ideale Chance für uns. Die Tatsache, dass Sie Technovision schreiben, also Science Fiction, prädestiniert Sie im Verein mit Ihrem journalistischen Hintergrund geradezu dafür, uns zu unterstützen.«
»Das werden Sie mir sicher näher erklären«, erwiderte ich. »Aber ich denke, wir gehen jetzt besser wieder in Ihr Büro. Ich muss gestehen, dass mir jetzt nach einem Happen zu essen zumute ist.«
***
Auf dem Besuchertisch in Duponts Büro erwartete uns eine Platte mit belegten Broten, etwas Obst und Käse sowie Bier, Fruchtsaft und Wasser.
Als ich ein paar Bissen zu mir genommen und einen Schluck Bier getrunken hatte, tupfte ich mir mit einer Serviette den Mund – bestes Leinen, Dupont hielt in allen Dingen auf Stil – und meinte: »Wie Sie sich meine Hilfe in Bezug auf den armen Mortimer vorstellen, haben Sie mir ja schon erläutert, aber was erwarten Sie sonst noch von mir? Ich bin ja schließlich selbst gerade erst dabei, mich in dieser Zeitlinie zurechtzufinden.«
Dupont nickte. »Ja, ich sollte
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