Nebenweit (German Edition)
von plausibel reden konnte.
Ich beschloss also, auf demselben Weg zurückzugehen, auf dem ich ins Tal gekommen war. Ich würde mir die Hütte und ihre Umgebung genauer ansehen und hoffte, dort den Schlüssel zu dem bis jetzt unerklärlichen Geschehen zu entdecken. Und ganz hinten in meinen Gedanken lauerte ein Funke Hoffnung, dass sich dort alles als Hirngespinst herausstellen, ich aus dem verrückten Traum erwachen, meinen Wagen vor der Hütte und Carol zu Hause vorfinden würde.
Diesmal sah ich mich auf dem Weg durch die vertrauten Straßen bewusster um und entdeckte ein paar Eigentümlichkeiten – Straßenschilder, die anders aussahen, Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 statt 60 km/h innerorts, ein Polizeifahrzeug in Olivgrün statt dem vertrauten Blau-Weiß und – aber da war ich mir nicht sicher, ob ich mir das nur einbildete – die Menschen wirkten irgendwie starr, disziplinierter, als ich das in Erinnerung hatte. Und viel weniger Fahrräder waren unterwegs, als ich sonst hier bemerkt hatte.
Wie in Trance trottete ich dahin, besser gesagt, ich schritt durchaus zügig aus, nahm aber seit Verlassen des Ortskerns meine Umgebung überhaupt nicht mehr wahr, sondern hatte nur das eine Ziel, schnell die Forsthütte zu erreichen. Allmählich stellte ich mich darauf ein, dass ich noch eine ganze Menge Dinge erkennen würde, die ›anders‹ waren. Hoffentlich nur im Kleinen, dachte ich.
Die Stelle mit dem Baum tauchte vor mir auf – es sah noch genauso aus wie vorhin, und auch die verwitterte Hütte war noch da. Warum auch nicht …
Nur von meinem Wagen war nach wie vor weit und breit keine Spur zu sehen.
Die Schlossfragmente lagen noch auf dem Boden, wo ich sie achtlos hatte fallen lassen, und die Tür ließ sich leicht öffnen. Alles sah so aus wie vor einer Stunde. Die eigentümlichen Markierungen am Boden waren jetzt deutlich zu erkennen – acht Rechtecke, jeweils vielleicht dreißig Zentimeter lang und fünfzehn breit, je vier rote und vier blaue nebeneinander. Mein ›Technovisions-Modus‹ schaltete sich ein. Ob diese Markierungen ›der Schlüssel zur anderen Welt‹ waren? Von dem beengenden Gefühl war nichts mehr zu verspüren. Aber vielleicht hatte ich mir das auch nur eingebildet …
42
Garantiert nicht eingebildet habe ich mir den heftigen Schlag auf den Hinterkopf, der mich in dem Augenblick traf, als ich die Schwelle der Hütte überschritt. Ich muss wie vom Blitz gefällt zu Boden gegangen sein, denn ich erinnere mich nur an den stechenden Schmerz, einen grellen Blitz vor den Augen und mein Erwachen in einem engen Raum, einer Art Höhle, die nur von einer Talgfunzel erhellt wurde. Als ich mir an den Kopf griff, trafen meine Finger auf einen dicken Verband, ich zuckte aber dennoch von der Berührung zusammen, als hätte man mir einen glühenden Dolch in den Kopf gestoßen.
An diesen Schmerz erinnere ich mich ganz deutlich, obwohl das jetzt eine ganze Weile zurückliegt und man mich mittlerweile auch aus der Höhle in einen vielleicht drei mal drei Meter großen Raum gebracht hatte, der zwar nahe der Decke ein Fenster besitzt, das man aber von außen mit Läden verdunkelt hat. Ein Beleuchtungskörper an der Decke spendet Licht und wird, wie ich glaube, in regelmäßigen Abständen, die möglicherweise dem Tag-Nacht-Rhythmus entsprechen, abgeschaltet.
Man hat mich ärztlich versorgt, ein Schädelbruch liege nicht vor, hat mir ein Mann im weißen Mantel erklärt, ohne sich mir vorzustellen, und die ursprünglich eingetretene Gehirnerschütterung solle ohne Dauerfolgen abgeklungen sein. Seiner Darstellung nach war ich mehrere Tage ohne Bewusstsein. Ich bekomme regelmäßig zu essen und zu trinken, meist fettigen Eintopf und Schwarzbrot. Eine Art Campingklo in der Ecke meines Kerkers wird regelmäßig entleert, aber bis zur Stunde hat mir niemand erklärt, weshalb ich hier festgehalten werde, noch wie lange meine Haft noch dauern soll.
Alle paar Tage führt man mich in einen winzigen, gefliesten Raum mit einer Dusche, wo ich mich waschen kann und wo dann auch jeweils frische Wäsche für mich bereitliegt. Auch einen elektrischen Rasierapparat stellt man mir zu Verfügung, verweigert mir aber die Nassrasur. Vermutlich aus Sorge, ich könne mir mit den Klingen etwas antun oder einen meiner Wärter angreifen.
Betreut, wenn man das so nennen will, werde ich von zwei Männern, die entweder stumm sind oder zumindest Anweisung haben, nicht mit mir zu sprechen. Ihrem dunklen
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